Zwei Busfahrten von Düsseldorf entfernt, durch's Niederbergisch-Märkische Hügelland nach Wetter und weiter durch die von markanten Wäldern und Tälern durchsetzte Landschaft des Westerwalds, führt uns diese zweitägige Reise. Wir besuchen zwei Orte, an denen ein Stück deutsche Sicherheitstechnik Geschichte schrieb. In Wetter im Ruhrgebiet hat die Firma ABUS, der Weltmarktführer für Sicherheit, seit ihrer Gründung 1924 ihren Hauptsitz. Im kleinen Dörfchen Rehe im Westerwald befindet sich seit 1957 eine ihrer Hauptproduktionsstätten.
Gemeinsam mit einer exklusiven Runde aus österreichischen Fahrradfachhändlern und Journalisten, kompetent begleitet vom ABUS Österreich-Team, erkunden wir die Security-World, lernen mit dem Innovation-Lab die Entwicklung der Fahrradhelme kennen und versuchen uns in der Endfertigung der beliebten ABUS Bordo-Schlösser.
Ich möchte euch mitnehmen auf einen kleinen Streifzug durch die Welt von ABUS, der mit den Knackversuchen diverser Schlösser endet. Denn unter Druck entstehen laut dem ehemaligen Vertriebsleiter Bernd Bremicker nicht nur die besten Ideen, sondern offensichtlich auch Produkte, die hohem Druck und Belastung standhalten müssen.
Die besten Ideen entstehen unter Druck
Bernd BremickerSchon beim Betreten des Werksgeländes samt Security-Check am Eingang werden die Dimensionen dieses Betriebes klar. Was Mitte der 1920er in einer kleinen Kellerschmiede mit einem Vorhängeschloss, dem "Iron Rock”, begann, ist heute ein Weltkonzern mit knapp 4.000 Mitarbeitern an fünf deutschen Standorten und über 100 Produktions- und Vertriebsstätten weltweit.
Die Bilder im ABUS-Museum zeigen Ausschnitte aus der Gründungszeit des Unternehmens in den 1920er Jahren, als Privathaushalte langsam flächendeckend Zugang zu elektrischem Strom erhielten, die Leute ins Kino gingen, um Stummfilme zu sehen, und eine Überfahrt in die neue Welt auf dem Schnelldampfer noch eine Woche dauerte. In jener Zeit beginnen August Bremicker und Söhne (kurz ABUS) mit der Fertigung von Vorhängeschlössern.
Aus der Schlosserei wurde über die Jahrzehnte ein Spezialist für ein breites Spektrum an Sicherheitsthemen. Seit 1958 werden in Rehe im Westerwald Zweiradschlösser produziert. Daneben hat man immer wieder viele ausgefuchste Speziallösungen entwickelt, wie etwa den Vorgänger von Touch-ID, Face-ID und Handy-Pin, oder ein Schloss für Wählscheibentelefone. Kurz nach der zweiten Ölkrise wurde eine Öltanksicherung patentiert und in Verkehr gebracht.
2001 gliederte man die Firma Security Center, einen Spezialisten für Videoüberwachung und Alarmtechnik, ins Unternehmen ein - ein wichtiger Meilenstein für die weitere Entwicklung. Bis in die Gegenwart ist ABUS ein Familienunternehmen geblieben, das in Eigentum und unter Führung der Familie Bremicker wirtschaftet.
Heute gliedert sich das Unternehmen in drei große Bereiche: Objektsicherheit mit dem Schwerpunkt auf die Bedürfnisse von Unternehmen, Sicherheit zu Hause mit einer ebenso großen Bandbreite - von Brandschutz, Schließanlagen, Alarmanlagen und Videoüberwachung bis hin zum relativ jungen Gebiet der "Smart Home Security” - und zuletzt der Bereich Mobile Sicherheit mit Schwerpunkt Motorrad und Fahrrad. Seit 1993 wird dieser Unternehmensbereich Mobile Sicherheit eigenständig im Unternehmen geführt.
Zu dieser Abteilung zählt auch alles, was den Bereich Radsport betrifft. So offeriert ABUS nicht nur eine riesige Bandbreite an Fahrradschlössern sowie eine nicht weniger beeindruckende Anzahl an Helmen, sondern auch diverse Dienstleistungen wie z.B. ABUS Yourplus. Mit diesem System bietet ABUS eine äußerst komfortorientierte Lösung für Pedelecs mit Akkuschloss, Rahmenschloss und Zusatzschloss (z.B. Faltschloss oder Bügelschloss), die sich dank Yourplus mit einem Schlüssel schließen lassen.
Bei den Schlössern reicht die Bandbreite von einfachen Kabelschlössern mit Security Level 1 bis hin zum schlauen 770A SmartX oder dem Granit Xplus 540 Bügelschloss mit Security-Level 15. Die gigantische Auswahl hat unweigerlich zur Folge, dass ich mich permanent beim Gedanken ertappe, wie welches Schloss wohl zu knacken sei ... aber dazu später mehr.
Die nicht weniger mächtige Palette an Helmen reicht von kreativen, bunten und vielseitigen Kinderhelmen bis hin zu den aktuellen Topmodellen Airbreaker, Montrailer und Gamechanger.
Zur Entwicklung der Helme hat auch wesentlich der Einsatz im Radrennsport beigetragen. So ist ABUS seit 2017 offizieller Sponsor vom Movistar Team – einem der erfolgreichsten Profi-Radteams mit dem in Innsbruck 2018 Alejandro Valverde Weltmeister wurde. Im Mountainbike-Bereich wird das KROSS-Team mit Maja Wloszczowska und der fünffachen Cape-Epic Siegerin Ariane Lüthi von ABUS unterstützt.
Daneben gibt es mit Michael Strasser auch einen heimischen Athleten, der als ABUS-Testimonial unterstützt wird und seine zahlreichen Langstreckenerfahrungen an das Entwicklerteam im Innovation-Lab in Wetter weitergibt.
Eben dieses Innovation-Lab, das in Wetter gleich neben der Zentrale und ABUS Security World eine eigene Bleibe gefunden hat, besuchen auch wir und bekommen einen kleinen Einblick in den Entwicklungsprozess von Helmen. So erfahren wir, wie groß die Herausforderung ist, für verschiedene Märkte zu produzieren, wie sehr sich Prüfnormen und Anforderungen für USA, Australien und Europa unterscheiden und welche Testverfahren die Helme bis zur Marktzulassung und darüber hinaus über sich ergehen lassen müssen.
ABUS nennt die deutschen Entwicklungs- und Produktionsstandorte Wetter, Rehe, Hege, Pfaffenhain und Affing deren Denkfabrik.
Während für einen Teil des internationalen Fahrradmarktes auch bei ABUS Shenzhen in China gefertigt wird, besuchen wir am nächsten Tag die Fahrradschlossproduktion in Rehe im Westerwald, die eine eineinhalbstündige Autofahrt entfernt südöstlich der Zentrale liegt. In der 900-Seelen-Gemeinde, kurz bevor sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, liegt am Ende einer schmalen Straße von Einfamilienhäusern eine der wichtigsten und traditionsreichsten Produktionsstätten, in der mittlerweile an die 500 Menschen beschäftigt sind.
Rehe ist für mich ein Ort voller Kontraste. Hier, wo ländliche Beschaulichkeit auf Industrie trifft, herrscht trotz der Größe des Betriebes eine relativ familiäre Atmosphäre. Moderne Werkshallen treffen auf restaurierte, historische Bausubstanz, durchzogen von einem kleinen Bächlein. Digitale Messverfahren für den Tausendstel Millimeter treffen auf tonnenschwere Maschinen zum Biegen von rohem Stahl, die im dunklen "Safe” gelagerten, teuren Werkzeuge treffen in den hellen Hallen auf Tageslicht und angesichts der Tatsache, dass hier mit rohem und gehärtetem Stahl gearbeitet wird, ist es unglaublich ruhig.
Hier trifft auch deutsche Pünktlichkeit auf japanische Veränderung zum Besseren (Kaizen), und wir Österreicher dürfen diesen Prozess crashen, indem wir uns an der Endfertigung eines Bordo-Schlosses versuchen.
Grob gesagt funktioniert das so: Die Teile holen wir uns durch eine Bestellung mit Einkaufszettel (Kanban) und der Hilfe eines Versorgungszugs (Routenzug) aus dem Supermarkt, der seinerseits von einem AKL (Automatisches Kleinteilelager) versorgt wird. Das wiederum organisiert und optimiert sich, ähnlich wie wir Menschen im Traum, in der Nacht neu. Sind alle Teile fürs Schloss in unserem Haus (= unser Arbeitsplatz), bauen wir das Teil im "One piece flow”-Verfahren von Anfang bis zum Ende zusammen. Und fertig ist das Bordo-Schloss im Schnelldurchlauf.
Die für eine Sicherheitsfirma aber viel wichtigere Frage lautet: Wie kann ich das Schloss wieder aufbrechen? So landen wir am Ende in der Folterkammer mit jeder Menge Instrumenten und Werkzeugen zur Öffnung diverser Barrieren. Stefan Baran, Logistikmanager von ABUS, steht uns mit Rat zur Seite und nimmt uns gleich zu Beginn die Hoffnung, es gäbe Schlösser, die man nicht knacken könne. Vielmehr sei Sicherheit auch eine Frage von Zeit: Wie lange benötigt ein Angreifer zum Knacken einer Barriere, mit welchem Aufwand und welchen Mitteln ist das möglich, und vor allem: wie viel einfacher wäre es, das Bike nebenan zu stehlen?
Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.
Joachim RingelnatzUns bleibt mangels Knowhow von intelligenten Methoden einzig die brutale Methode zum Öffnen der Schlösser und die Erkenntnis, dass auch gehärteter Stahl mit entsprechend großem Bolzenschneider, dem massiven körperlichen Einsatz von zwei erwachsenen Männern und einem hohen Risiko, entdeckt zu werden und/oder sich dabei selbst zu verletzen, zerstörbar ist. Die Spuren an den Fahrrädern sprechen dabei Bände.
Bei entsprechend hochwertigen Schlössern ist auch die intelligente Methode äußerst komplex, zeitaufwendig und damit für Angreifer entsprechend risikobehaftet.
Zeit = Sicherheit
aus dem kleinen 1x1 der SicherheitstechnikAm Ende des Tages geben wir unser Vorhaben, die komplett zerkratzen Räder zu stehlen, auf und nehmen die Erkenntnis mit, dass Zeit auch Sicherheit bedeutet und Sicherheit Zeit benötigt. Zeit, die aus einer Idee einen Erfolg macht, aus einer CAD Zeichnung einen möglicherweise lebensrettenden Helm, aus einem durchschnittlichen Produkt ein herausragendes; Zeit, die aus einer kleinen Kellerschmiede einen Weltkonzern schmiedet, Zeit, die einen innovativen Newcomer zum nicht weniger innovativen Traditionsunternehmen mit in Kürze einem Jahrhundert Erfahrung reifen lässt ...
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