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Marokko - Traum eines Alpin-Mountainbikers

Knapp 4.000 Meter Downhill und eine Midlife Crisis waren es, die Anderl Steiner im März nach Nordafrika zogen. Sein Ziel: der Djebel Toubkal.
Text: Anderl Steiner Fotos: Anderl Steiner

Marokko. Ein Land wie aus Tausendundeiner Nacht. Königsstädte. Casablanca, Fes, Marrakesch. Aber auch: Der Hohe Atlas, ein Gebirgszug mit acht Viertausendern. Eldorado für Individual-Schitourengeher und Bergsteiger. Und dann: Der Djebel Toubkal. Mit 4.167m der höchste Berg Nordafrikas.

Meine Alpinkameraden hatten beschlossen, zum Schitourengehen nach Marokko zu reisen. Ich war mir nicht sicher, ob ich mitfahren sollte. Nicht, weil ich nicht nach Marokko wollte, im Gegenteil. Seit Jahren schon reizt mich der Hohe Atlas als Tourenregion. Aber ich fragte mich, ob mir das reichen würde. Also beschloss ich, der Reise einen zusätzlichen Höhepunkt zu verleihen: Ich wollte der erste Mensch sein, der den sagenumwobenen Toubkal mit dem Mountainbike besteigt, um anschließend einen schier endlosen Downhill über 3.700 Höhenmeter zurück nach Marrakesch zu absolvieren - eine logistische wie mental besondere Herausforderung.
Oft wurde ich seither nach den Gründen für diese Unternehmung gefragt. Und oft habe ich versucht, sie mit dem Offensichtlichen zu erklären: besondere Herausforderung, Training, Exotik ... Bis es mir schließlich wie Schuppen von den Augen fiel: Ich habe die Midlife Crisis!
Ich bin jetzt 43, habe eine großartige Frau, zwei wunderbare Kinder, einen Job, der mir gefällt und mir bei überschaubarem Arbeitspensum mein Auskommen sichert. All das will ich weder riskieren, noch verlieren. Aber ich will das Besondere, den Kitzel, das Ziel. Ich will etwas machen, was andere nicht machen. Und wo geht das einfacher als im Sport?
Die Vorbereitungen für den Marokko-Trip waren rasch abgeschlossen, die körperliche Fitness stimmt sowieso, wenn man für einen Saisonhöhepunkt wie die A-Strecke der Salzkammergut Trophy trainiert. Bereits am Tag nach unserer Ankunft in Marrakesch ging’s für mich los.

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Hat man den Trubel einer nordafrikanischen Großstadt einmal hinter sich gelassen, fährt man entspannt auf schnurgeraden Landstraßen. Es geht nach Süden, immer mit dem gewaltigen Atlas-Massiv vor Augen. Die Autos und LKWs nehmen überraschend viel Rücksicht auf Radfahrer. Stetig leicht bergauf führt der Weg Richtung Asni, das auf etwa 1.200 Meter Seehöhe den Beginn des Gebirges markiert. Schulmädchen laufen mir entgegen, leider kann ich ihrer Bitte „Bonjour, Bonbon!“ nicht entsprechen – Süßigkeiten hatte ich aus Gewichtsgründen nicht im Gepäck. Generell sind die Einheimischen bemerkenswert freundlich: Jeder offensichtliche Tourist wird mit einem „Bonjour, ça va?“ begrüßt. Wenn man sich die Zeit nimmt und ein Gespräch beginnt, wird nach dem Ziel gefragt, der Weg erklärt und viel Glück gewünscht.
Die Straße wird schmäler und nach vier Stunden erreiche ich das Etappenziel des ersten Tages: das Bergdorf Imlil – der Ausgangspunkt für viele Bergtouren im Toubkal-Nationalpark. Hier treffe ich auf meine Kameraden, die mit dem Minibus angereist sind. Ich genieße die letzte warme Dusche für mehrere Tage, bevor der spektakuläre Teil beginnt.
Am nächsten Morgen verlasse ich Imlil und strample bis auf 1.900 Meter Seehöhe. Hier beginnt ein Maultierpfad, der bergauf absolut unfahrbar ist. Also nehme ich mein Bike auf die Schulter und beginne, gemeinsam mit anderen Bergsteigen und zahlreichen Maultierführern zu wandern. Immer wieder wird mir von den Führern angeboten, doch mein Bike auf ein Maultier (oder sind es Mulis?) zu schnallen. Tatsächlich schleppen diese Tiere mit stoischer Ruhe bis zu 60 kg, und sind dabei immer noch deutlich schneller als ich. Dankend lehne ich ab. Ich möchte den Berg „by fair means“, also ohne Hilfsmittel, bezwingen. Auch das ist wohl ein Symptom der Midlife Crisis, stelle ich belustigt fest.

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Ich erreiche die höchste Siedlung Sidi Chamharouch (2.300m), eine Pilgerstätte. Die 25 dort ständig lebenden Berber versuchen zuerst, mir Andenken zu verkaufen, dann, meine Handschuhe und Jacke gegen einen Teppich zu tauschen. Ich lehne höflich ab, mache aber doch Zugeständnisse: Ich kaufe ein Cola, offensichtlich das Nationalgetränk, und verspreche, bei der Rückkehr vom Berg den „Shop“ zu besuchen. Dann wandere ich weiter, wissend, dass ich das Bike noch 900 Höhenmeter bis zum Basislager zu tragen habe. Für derlei Prüfungen lohnt die passende Einstellung. Und es ist freilich von Vorteil, wenn man mit Tragepassagen schon auf vorangegangenen Alpenquerungen kein Problem hatte.
Nach vier Stunden erreiche ich endlich die Toubkal-Hütte auf 3.200 Meter Seehöhe. Sensationelles Wetter erlaubt es mir, nach einer herzlichen Begrüßung durch den Hüttenwirt Mohammed und unter den neugierigen Blicken einiger englischer und französischer Bergsteiger einen Minztee (das wirkliche Nationalgetränk der Marokkaner) auf der Terrasse des gewaltigen Steinbaus zu genießen.
Die Toubkal-Hütte wird auch im Winter nur durch eine Feuerstelle beheizt, welche am Abend natürlich ein beliebter Treffpunkt aller anwesenden Gäste und Mitarbeiter ist. Hier erfährt man viel über Land und Leute sowie die Motive der vielen Europäer, die den Toubkal besteigen möchten. Ich höre auch, dass angeblich jemand mit einem Bike hier sein soll und tausche einen wissenden Blick mit Mohammed. Das Abendessen ist sehr gut, vor allem wenn man bedenkt, dass sämtliche Zutaten von Mulis und Trägern herbeigeschafft wurden.

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Am nächsten Morgen: Vor der Hütte treffe ich zwei Italiener, die den Toubkal besteigen wollen, und frage sie, ob ich sie begleiten dürfe. Mit einem ungläubig-lachenden Blick auf meinen Rucksack, an dem mein Bike befestigt ist, bejahen sie. Als ich schließlich tatsächlich mit Ihnen aufbreche, fragen sie mich, ob ich verrückt sei. Diese Frage höre ich zum ersten Mal. Ich weiß es nicht. Bin ich verrückt? Ja wahrscheinlich, ein bisschen.
Schließlich liegen vor mir 1.000 Höhenmeter über pickelharten Schnee. Mit Steigeisen und Skistöcken stellt das für einen erfahrenen Alpinisten, wie ich es nun mal bin, aber kein Problem dar. Kontinuierlich schraube ich mich nach oben, bis ich endlich den Gipfelhang vor mir sehe. Es herrschen perfekte Bedingungen und interessanterweise sind die obersten 200 Höhenmeter schneefrei! Das steigert die Vorfreude auf die anstehende Abfahrt in schwindelerregende Höhen – wortwörtlich!
Kurz nach den Italienern erreiche ich den Gipfel. Überschwänglich begrüßen sie mich: „Sei un vero figlio dei montagne!“ Der Gipfelblick – freie Sicht in alle Richtungen – ist ein Traum, das Gefühl unbeschreiblich. Ich hab‘s geschafft! Midlife Crisis – was machst du nun?
Aufgrund der perfekten Bedingungen kann ich die ersten zweihundert Höhenmeter fahren und schaffe es sogar beinahe, auf über 4000 Meter einen Überschlag zu produzieren. Ich lache, alles ist cool!
Im Schnee fahre ich dann nur in den flacheren Teilen, im Steilen ist es zu hart und zu gefährlich. Die letzten Meter zur Hütte teile ich, fahrend, mir mit Schifahrern und Bergsteigern, gehend. Mohammed empfängt mich und sagt, er hätte immer an mich geglaubt, Hamdullilah! Typischerweise würde ich den Erfolg mit einem Bier feiern, allerdings ist Alkohol hier Fehlanzeige. Na dann eben Minztee.

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Am nächsten Morgen beginnt der großartigste Teil der Tour: Der Downhill von der Hütte. Über ruppige Pfade, immer entlang steiler Abhänge und daher mit dosiertem Risiko talauswärts. Manchmal begegne ich Mulis und Bergsteigern und werde eifrig fotografiert. Nach 90 Minuten erreiche ich Sidi Chamharouch und löse mein Versprechen ein: Mit vollem Einsatz feilsche ich mit Mahmoud um eine kleine Figur, die der ganzen Familie Glück bringen soll. Als ich in den Deal einwillige, verwandelt sich die Miene von Mahmoud in pure Zufriedenheit. Er versichert mir, dass ich der härteste Geschäftspartner wäre, den er je getroffen hätte. Jaja. Eine spätere Recherche ergibt, dass die gleichen Figuren in Marrakesch etwa die Hälfte kosten …
Nach dem obligatorischen Cola fahre ich weiter, geniale Pfade ohne Ende. Und da passiert es: der Flow! Ein eigenartiges Gefühl, bei dem die Zeit stehen bleibt oder rasend schnell vergeht, wie man‘s nimmt. Alles geht wie von selbst, man fühlt sich federleicht (auch bei einem Körpergewicht von 85 kg), es ist der pure Genuss. Leider kann man den Flow nicht trainieren oder lernen. Er passiert einfach – oder auch nicht.
Dann erreiche ich wieder das Dorf Imlil. Weiter geht meine Fahrt auf Straßen. Die letzten 65 km zurück nach Marrakesch sind eine reine Fahrt der Freude. Langsam rieche ich die Stadt, der Verkehr wird stärker. Zurück im Trubel der Metropole treffe ich meine Freunde, die erneut per Minibus gereist sind und endlich: Wir können ein Bier trinken und anschließend das unglaubliche Leben am „Platz der Gehenkten“ genießen.

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Rückblickend weiß ich, dass ich dieses großartige Land mit den wundervollen Menschen wieder besuchen werde. Vielleicht mit meiner Familie, vielleicht wieder mit dem Bike - wer weiß das schon ...

Wer's mir nachmachen bzw. einfach Marokko und den Hohen Atlas per Bike erkunden will, dem sei folgender Kontakt ans Herz gelegt:

Geprüfter Bergführer für Berg-, Trekking- und MTB-Touren, Wüstensafaris
Ibrahim Ait Ouarab (spricht Englisch, Französisch, etwas Deutsch)
Tel +212 667690903, trekadventurer@yahoo.fr

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Hallo Stoni du wüda Hund!

 

Wir haben ja eh schon viel über deine Tour in Marokko gesprochen. Aber hier der Bericht und die Fotos, habe ich ja so noch nicht gesehen, sind genial. Gratuliere.:toll: Echt ineressant.:jump: Auch ich, als eher Zivilisationsradler, der alle Annehmlichkeiten im Urlaub nicht vermissen möchte, ist beeindruckt.

 

So wie das aussieht, hat sich der Besuch von Lisi Hager bei dir zu Hause in Lambach ja wirklich gelohnt. Das Ergebnis ist ja zu sehen. Danke an Euch, denn so war es auch gleichzeitig tolle Werbung für den Radsport.

 

Taugt mir, dass ich sagen kann, diesen Stoni, Ali Baba, Anderl oder wie er sich auch immer zu nennen mag in seiner Midlife Crisis, zu kennen:love: und mit ihm fast jeden Donnerstag mit dem Bike ein Tour fahren zu dürfen.:klatsch:

 

Danke Anderl,

danke Lisi für diesen echt lässigen Bericht

 

Lg

Ames

Bearbeitet von Ames1
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Glückwunsch zur Bike - Erstbesteigung/befahrung!

Welche S Schwirigkeitsstufen galt es dort zu meistern?

 

Servus,

 

das schwierigste war sicher gleich oberhalb der Hütte auf 3200m. Dirt war eine Hangquerung über 300Höhenmeter über pickelharten Schnee mit Steigeisen notwendig. Wenn's dich da schmeisst, fliegst 500m ungebremst gegen ein paar Felsen. Also konzentriert bleiben! Sonst war es technisch bergauf wenig herausfordernd, nur konditionell.

 

Beim Downhill waren etwa 70% zu fahren (mit einem 120mm Fully), auch hier war das Problem eher mental, weil links oder rechts ist's immer recht weiter runter gegangen. Also eher dosiert und nicht mit Renntempo runter, weil Hubschrauber holt dich dort keiner.

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fast 1000 Hm am schnee das radl wieder runtertragen wär ma zu blöd für eine rad-gipfelsieg.

ich hoffe die 200 Hm ganz oben haben für die plagerei entschädigt! :)

 

ps.: ist das ein (trek) fuel?

 

Ja gut beobachtet, es ist ein Trek Fuel EX 9.9 Rahmen mit Sram XX, Räder von Pancho aus Goisern und ein paar sonstige Feinheiten.

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