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Voll aus dem Leben: Bahnhofgeschichte (DerStandard)


SirDogder
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Wie man einen Bahnhof lahm legt

Die Callcenter-Mitarbeiter blieben freundlich und höflich – die derben Worte waren für die ÖBB-Schalterkollegen reserviert

Es war am Freitag. Wir wollten auf den Arlberg. Freunde besuchen. Und weil der Arlberg ziemlich günstig auf der Westbahnstrecke steht (auch, wenn das letzte Stück nur Schienenersatzverkehr ist), wollten wir den Nachtzug nehmen: Vier Menschen passen ganz gut in ein Liegewagenabteil.

 

 

 

 

Blöderweise kam A. und mir am Abreisetag was dazwischen. Und der nette Kärntner an der ÖBB-Vorteilscard-Hotline entschuldigte sich namens des Unternehmens 25 Mal (und obwohl sich niemand beschwert hatte), dass man fürs Stornieren einer halben Reservierung am Reisetag Stornogebühr zahlen müsse. Zehn Minuten später rief er mich noch einmal an – er habe leider vergessen zu fragen, ob die zwei verbleibenden Betten nun oben oder unten sein sollten.

 

Der Zug fuhr gegen halb elf am Abend. Aber um – schließlich ist Hauptreisezeit – sicher zu gehen, nicht zu spät zu kommen, machte sich P. gegen 19 Uhr auf, ihre Tickets abzuholen: Weil nach Büroschluss Haupt-Hauptreisezeit ist, standen eine Million Menschen vor den Schaltern. Aber weil es nach Büroschluss ist, war, schätzte P., gerade ein Drittel der Schalter besetzt: Nach 25 Minuten Warten war sie dann aber dran.

 

Schon weg

 

Ihre Tickets, erklärte die Schalterbeamtin, wären weg. Weil ausgedruckt. Ein einziger Sitzplatz sei noch im Computer. Für die Rückfahrt. P. wunderte sich: Außer A. und ihr hatte niemand den Ausgabecode. Die Schalterbeamtin zuckte mit den Schultern: Die Tickets wären ausgedruckt, gälten somit als behoben – alles andere sei nicht ihr Bier. Und, nein, sie könne auch nicht sagen, wann und wo die Kartenausgabe erfolgt sei. P. möge den Schalter frei machen.

 

Genau das tat P. natürlich nicht. Sie rief A. an. A. rief bei der Vorteilscard-Hotline an. Dort verstand man das Problem nicht ("Wieso, sie haben doch eh den Code gesagt, oder?") und sah dann im Computer nach. Bloß: Da die Schalterbeamtin am Westbahnhof die Transaktion bei sich am Bildschirm geöffnet hielt, konnte man sie nicht abfragen. "Können Sie ihre Freundin anrufen – sie soll der Kollegin sagen, dass sie das File zumachen soll."

 

Stille-Bahn-Post

 

Blöderweise hatte P. aber mittlerweile doch andere Fahrgäste vorgelassen. Sie musste warten und dann den Fall noch einmal von Anfang an erklären (das File hatte die Beamtin nicht geschlossen). Und wirklich begeistert war die Dame am Schalter nicht, von den Kollegen im Callcenter über zwei Kundinnen ausgerichtet zu bekommen, was sie tun solle.

 

Im Callcenter schaute man die Datei an und befand: "Alles in Ordnung – wir wissen nicht, wo das Problem ist. Die Tickets sind da, bezahlt und können an jedem Bahnhof gegen den Code ausgedruckt und ausgegeben werden. Das ist ja Sinn dieses Systems." Aber die Dame am Westbahnhof blieb stur: Die Tickets wären für sie ausgedruckt – ein zweites Mal könne, dürfe und würde sie die Fahrscheine nicht hergeben. Und, nein, sie werde auch nicht im Callcenter anrufen.

 

Bedauern

 

Diesmal gab P. den Schalter nicht frei. Sie debattierte. Flehte. Fluchte. Die Hauptreisezeitschlange hinter ihr wurde länger und länger. Irgendwann rief sie A. wieder an – und die fragte die Vorteilscard-Mitarbeiter am Telefon, wie das Spiel weitergehen könne: Schließlich würden hier einem Fahrgast bezahlte Tickets vorenthalten. Die Callcentermenschen – mittlerweile beschäftigte sich dem akustischen Anschein nach die halbe Abteilung mit dem Fall - blieben höflich und entschuldigten sich immer wieder. Im Hintergrund hörte A. aber recht herbe Worte über die ÖBB-Dame in der Kassenhalle fallen.

 

Im Großen und Ganzen war man jedoch ratlos. Doch irgendwann schnappte A. ein gestöhntes "Kann die denn nicht einfach umblättern?" auf – und fragte, was das bedeute. Die Antwort gab sie an P. weiter. Und die riet der Schalterdame – der sie bereits über eine halbe Stunde gegenüber stand – "doch die Bildschirmseite umzublättern." Die Dame tat pikiert, ("Ich bin doch nicht den ersten Tag hier") griff aber Minuten später (P. machte keine Anstalten zu gehen) trotzdem zur Maus: "Ich weiß nicht, was das bringen soll. Umblättern. Das hab ich noch nie gemacht."

 

Menschenschlange

 

Zwei Minuten später hatte P. dann die Tickets in der Hand. Die Menschenschlange hinter ihr, sagte sie, war beträchtlich – und die Schalterbeamtin so sauer, dass P. sich trotz der Sicherheitsglasscheibe nicht traute, zu fragen, ob statt "Da!" nicht eher "Entschuldigung" angebracht gewesen wäre.

 

Nebenbei: Die Fahrt im Zug begann dann pünktlich. Allerdings endete sie nach 200 Metern. Dann hieß es im unklimatisiert-sommerdampfigen Liegewagen eine Stunde ausharren, bis eine neue Lok angekoppelt war. Exakt eine Stunde später, erzählt P., lag die Abteiltemperatur dann unter der 30-Grad-Marke. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

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Sehr gute Geschichte!

Zeigt sehr schön, was passieren kann, wenn das Interaction Design in der Software-Entwicklungsphase mangelhaft war oder ganz gefehlt hat. Leider sind solche Fehler in der Software "unsichtbar" und werden kaum beanstandet. Auch werden sie kaum als solche wahrgenommen, da man ja dem Anwender die Schuld geben kann: Der Anwender ist entweder dämlich oder hat bei der Schulung nicht aufgepasst.

 

Dass Software kontraintuitiv programmiert sein kann, wird nicht diskutiert.

Tja Interaction Design steckt halt noch in den Kinderschuhen.

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Dass Software kontraintuitiv programmiert sein kann, wird nicht diskutiert.

Tja Interaction Design steckt halt noch in den Kinderschuhen.

 

Serviceorientierung leider auch, wie das Verhalten der Dame am Schalter im Gegensatz zu den offensichtlich gesprächsgeschulten Mitarbeitern am CallCenter zeigt.

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Serviceorientierung leider auch, wie das Verhalten der Dame am Schalter im Gegensatz zu den offensichtlich gesprächsgeschulten Mitarbeitern am CallCenter zeigt.

Sei nicht so streng mit ihr. Sie kommt mir vor wie das Kaninchen vor der Warteschlange... :p, sie ist total in Panik verfallen.

 

Da muss man halt schon sehr gelassen sein, dass einem das nichts macht, wenn man mit einem Software-Bug zu kämpfen hat und gleichzeitig eine Menge ungehaltener Fahrgäste vor sich hat, ungehalten, was auch ja verständlich ist.

Die wenigsten Menschen können in so einer Situation ruhig und vernünftig handeln. Deshalb sind für mich auch die Software-Heinis schuld. Die gehören auf den Mond geschossen...

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Sei nicht so streng mit ihr. Sie kommt mir vor wie das Kaninchen vor der Warteschlange... :p, sie ist total in Panik verfallen.

 

Da muss man halt schon sehr gelassen sein, dass einem das nichts macht, wenn man mit einem Software-Bug zu kämpfen hat und gleichzeitig eine Menge ungehaltener Fahrgäste vor sich hat, ungehalten, was auch ja verständlich ist.

Die wenigsten Menschen können in so einer Situation ruhig und vernünftig handeln. Deshalb sind für mich auch die Software-Heinis schuld. Die gehören auf den Mond geschossen...

 

ES WAR KEIN BUG!!! DIE TUSSI KONNTE EINFACH DIE SOFTWARE NICHT BEDIENEN!!!

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