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"Drücken - ziehen - drücken - ziehen"

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"Race across the alps" - seit Wochen wurden Stefans Freunde und Bekannte mehrmals täglich mit diesen vier Worten konfrontiert. Kaum jemand konnte sich darunter etwas vorstellen. "Es könnte" - so die Überlegung - "etwas damit zu tun haben, dass Stefan jeden Tag mit dem Rad von Eichgraben nach Gerasdorf in seine Firma fährt." Auf dieser Strecke gibt es zwar keine Berge, aber in denen ist der Techniker sowieso zu Hause. "Race across the alps" nahm Formen an. "Ich mach es. Ich fahre mit dem Rad ein 24-Stunden-Rennen über die Alpen", kam dann eines Tages das Outing der Sportskanone. Alle kannten Stefans Leidensgeschichte und die daraus resultierende Willensstärke. Die hoch gezogenen Augenbrauen waren mehr mechanische Reaktion als eine, die aus Ungläubigkeit resultierte. "Ich mach es" aus dem Mund von Stefan lässt keinen Raum für Zweifel. Die Unterstützung von seinem Arbeitgeber CASHPOINT mit Outfit und Auto und von Bikeboard.at war ihm auch sicher, und schon war es geboren, das CASHPOINT-BIKEBOARD-TEAM.

"Drücken - ziehen - drücken - ziehen", so die gebetsmühlenartige Einstimmung von Stefan, während Kollegen seinem Begleitfahrzeug den letzten Schliff gaben. Man merkte es ihm an, er konnte es einfach nicht mehr erwarten. Am Dienstag beim Mittagstisch dann noch mal Bangen. Ein Hüsteln, ein Räuspern - da bahnten sich Halsschmerzen an. Bis Mittwoch wurde Aspirin fast im Stundentakt geschluckt, um der Erkältung keine Chance zu geben. Das gelang auch ganz gut, und einen Tag später ging es auch schon nach Nauders.

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Unsere Gedanken waren ständig bei ihm. "Wie wird es Stefan wohl gehen? Wird das Wetter halten? Welchen Platz wird er belegen? Er gewinnt - wollen wir wetten?" - diese und mehr Fragen schwirrten herum. Am Samstagabend dann der erste Informationsfluss: "Er hat es ins Ziel geschafft, unter 25 Stunden - es war ja immerhin ein 24-Stunden-Rennen - und wurde Fünfzehnter. Bravo! Eine reife Leistung!" Am Sonntag kam dann das erste Lebenszeichen und am Montag die Antworten auf die Frage: "Na, wie war´s?" Die Ereignisse und Eindrücke - so noch vorhanden - sprudelten nur so raus aus dem stolzen Finisher von "Race across the alps". Zur Sicherheit, damit keine Details verloren gehen konnten, brachte Stefan auch seinen Fahrer Thomas mit. "Ich hab richtige Lücken, kann mich nicht an alles erinnern", gestand der etwas ausgelaugt aber glücklich wirkende Kollege.

Kein Wunder, immerhin radelte er binnen 24:57 Stunden sechs Mal über 2000er und einige andere "Hügel". Wie das war, das schilderte er - mit freundlicher Unterstützung von Thomas - so: "Am Freitag um 12.00 Uhr ging´s vom City Center in Nauders weg. Zunächst radelten wir über den ´Reschenpass`. Der ist mit 1.560 Meter Höhe ein ´Schupferl`. Da hatte ich einen Puls von 170. Danach ging´s aufs ´Stilfserjoch`, das 2.757 Meter hoch ist. Von dort hatten wir einen wunderschönen Ausblick zum ´Ortler`. Ich hab mir mit dem Begleitteam schon überlegt, ob wir dorthin einen Abstecher zu einer Schitour machen sollten... Während der erste Italiener mit Krämpfen bereits aufgab, habe ich mich umgezogen und bin in Richtung Tal geradelt. Bereits mit Goretex Jacke, weil es schon ziemlich kalt war."

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Zu diesem Zeitpunkt hieß es bereits drei Stunden "drücken - ziehen - drücken - ziehen"... Wie ist es dir da gegangen? Stefan: "Sehr gut. Auf den 2.652 Meter hohen Gavia Pass bin ich mit Jonny Kämpfe aus Dresden gefahren. Der hat da rauf richtig Gas gegeben, ist dann aber später ins Ziel gekommen als ich. In Edolo hätten wir nur zu gerne eine Kaffeepause eingelegt, denn das ist ein richtig lieblicher italienischer Ort. Wir haben uns dann aber doch zum Weiterfahren entschieden. Auf den 1.176 Meter hohen Aprica Pass ging´s dann mit dem Rainer Popp, dem Weltmeister im Marathon fahren aus Deutschland."

"Die nächste Hürde hieß ´Mortirolo` und war 1.846 Meter hoch. Er ist der Entscheidungsberg beim ´Giro d´Italia`. Der Anstieg ist zwar wunderschön, aber die Straße ist nur zwei Meter breit, und hat eine Steigung von 15 - 23%. Da fiel dann die Dunkelheit ein. Zeit, um die Lampe zu montieren."

Wann und was hast du eigentlich gegessen und getrunken? Stefan und Thomas (lachend) wie aus einem Mund: "Dauernd und alles!" Wie, dauernd? "Ununterbrochen wurde mir Essen aus dem Auto gereicht oder gleich in den Mund geschoben. Bananen, Kipferl, Riegel, Powergel, Chips, Red Bull, Cola, einfach alles Mögliche", und weiter im Text: "Nach dem Umkleiden und vor der Weiterfahrt habe ich noch Thomas Riegler getroffen. Mit dem habe ich mich am Vortag bei der Besprechung noch über die Übersetzung unterhalten. Ich hatte 39/32, und er fuhr mit 39/27. Ich hab ihm noch gesagt, dass das nicht gehen wird. Bei unserem Treffen am ´Mortirolo` hat er es dann eingesehen und schon etwas schief geschaut. Bei der Abfahrt hatte aber niemand von uns was zu lachen. Die Straße war total schlecht, hatte Schlaglöcher und es regnete wie aus Kübeln."

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"Das nächste Ziel war zum zweiten Mal der ´Aprica Pass`. Gleich in der ersten Kurve bin ich dort auf einen Schweizer getroffen. Der war ohne Licht und ohne Begleitfahrzeug unterwegs. Auf die Frage, wo seine Begleiter denn wären, sagte er: ´Das weiß ich auch nicht.` Im Lichtkegel unseres Autos und in meinem Windschatten ist er dann mit runter gefahren. Bei der Abfahrt forderte die Natur dann relativ oft ihr Recht."

"Dann lag der Bernina vor mir. 1910 Höhenmeter - 35 Kilometer Aufstieg... Das war schon hart. Da traf ich dann wieder den ´namenlosen` Schweizer. Der Name steht ja nur am Begleitfahrzeug und das war nie zu sehen. Auch am Bernina nicht. Ein Stück weit fuhr ich auch mit Rainer Popp und dem Fahrer aus dem Team ´Ötzi`. Beim letzten Stück spürte ich die ersten Zuckungen im Knie", so Stefan. "Und es hat geregnet", warf Thomas ein. "Nein, geregnet hat es nicht", wollte es Stef besser wissen. "Und ob es geregnet hat", blieb der Autofahrer beharrlich.

Da war schnell klar, dass hier wohl auch die "Lücken" eingesetzt haben, von denen Stefan vor dem Interview gesprochen hat. Da erklärte er, dass das "ziehen - drücken - ziehen - drücken" irgendwann mal mechanisch wird. Dass das Hirn aussetzt, man einfach nicht mehr denkt, nur mehr tut. Da habe ich ihn auch gefragt, wie das mit der Ausschüttung der Endorphine ist. "Die kommen bei mir immer am Schluss", so seine Antwort. Es war also nicht so, dass das Hirn und seine angehängte Drüse so sehr mit Ausschüttung beschäftigt waren, dass es nicht mehr denken konnte. Nein, es war vermutlich einfach müde und schaltete auf "Autopilot".

Ob Regen oder nicht, oben musste sich der Pilot einmal mehr umziehen - mittlerweile traten schon Ängste auf, dass man nicht genug Wintergewand mitgenommen hat - und danach ging es den Berg wieder runter, durch Ponteressina, in Richtung St. Moritz und weiter zum "Albula" Pass, der 2.306 Meter hoch ist und 603 Aufstiegshöhenmeter hat. "Dort war Nebel, null Sicht, Gegenwind, und es war eiskalt. Als ich mich am Parkplatz wieder einmal umgezogen hatte, da wussten wir nicht so recht, ob wir schon oben sind. Es war uns nicht klar, dass wir noch fünf Minuten Fahrt vor uns hatten. Ich konnte mich nur am Mittelstreifen der Fahrbahn orientieren. Bei der Abfahrt kamen wir in die Morgendämmerung. Mein Begleitfahrzeug war da so langsam, dass ich es fast verloren hätte", grinste Stefan. "Moooment, ich musste wegen dem Gegenverkehr langsamer fahren", versuchte sich Thomas zu verteidigen. Irgendwie hatten die Beiden bei dem Interview etwas von Farkas und Waldbrunn, sieht man davon ab, dass das, worüber sie berichteten, alles andere als ein Kabarettstück war. Ein Meisterstück - das trifft´s schon eher.

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Einig waren sich die Zwei dann darin, dass es in Davos wie aus Kübeln schüttete. Von da aus ging es auf den 2.399 Meter hohen "Flüela Pass", und es sollte noch schlimmer kommen. Ziemlich bald kamen dem Team die ersten Schnee bedeckten Autos entgegen. "Ich hab mir nur gedacht, hoffentlich sieht er das nicht", gab Thomas seine Hoffnung wider, und tatsächlich, Stefan hat den Schnee auf den Autos nicht wahrgenommen. Als dann der Schnee auf der Straße lag, sein Hinterrad permanent durchdrehte und ihm ein Schneeräumfahrzeug entgegen kam, da registrierte er die Wetterkapriole sehr wohl. "Es war furchtbar. Vor dem Rennen sagte mir ein Freund: ´Wenn du erst mal am Bernina bist, dann hast du es schon so gut wie geschafft.` Als ich am Bernina war, habe ich mich total gefreut, und dann das..." Anders als der Schweizer, hatte Stefan aber sein Betreuerteam, das ihn mal im Auto aufnahm, ihn "trocken legte" und aufmunterte. Da wurde auch gewitzelt, so nach dem Motto: "Eigentlich haben wir das falsche Werkzeug mit. Wenn wir die Schi mit hätten, dann könnten wir jetzt eine Tour machen."

Das war zweifelsohne Galgenhumor, in einer Situation, die alles andere als lustig war. Dass es nicht ungefährlich ist, das bestätigte dann auch ein Anruf der Rennleitung. "Zurück geht es nur mehr über den ´Ofenpass`, weil das ´Stilfserjoch` gesperrt ist", hieß es von dieser Stelle. "Da war ich echt enttäuscht, weil ich so nicht die ganze Strecke fahren konnte", sagte Stefan mit einer Stimme, die noch immer etwas traurig klang. Bei der Abfahrt durfte Stefan dann aber wieder so richtig Gas geben, und das nützte er gleich aus, indem er Rainer Popp überholte. Der trug sein Schicksal mit Fassung und fragte scherzhaft nach: "Dabremst es nimma?"

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Viel wichtiger war allerdings die Frage, ob er es noch mal auf den 2.149 Meter hohen ´Ofenpass` rauf schafft. Beim Anstieg gab es noch immer Schneeregen und das Limit zeichnete sich bereits ab. Doch da war wieder das Team zur Stelle. Seine Begleiter feuerten ihn so sehr an, dass er sich dann vor lauter Motivation nicht mal mehr umziehen wollte. Das Umkleiden wurde dann zwangsweise vollzogen. Stefan dazu: "Ich wollte einfach nicht stehen bleiben. Ich hatte schon Magenkrämpfe. Selbst bergab ging es nur mehr schleichend mit rund 30 km/h dahin. Am ´Reschenpass` gab es starken Gegenwind und ebensolchen Verkehr. Von dort wurden wir aber vom Rennleitungsfahrzeug abgeholt und nach Nauders geleitet. Sogar das Auffahren auf die Rampe zur Finisherehrung fiel mir schwer. Mein Maximalpuls lag nur mehr bei 116, dafür war der Blutdruck mit 167 zu 143 extrem hoch. Endorphinrausch hatte ich auch keinen, aber dennoch war die Müdigkeit und die Schwere der Beine angenehm. Das geschafft zu haben, das ist ein ganz tolles Gefühl. Das Betreuerteam ist dabei das Wichtigste. Meine Begleiter waren einfach Spitzenklasse. Bei ihnen, inklusive meinem Vater, der nie geschlafen hatte, bei CASHPOINT Sportwetten, Martin Ganglberger von Bikeboard.at, Franz Mayr und Birki, dem ´Lampenborger` möchte ich mich herzlich bedanken."

Abgesehen davon, dass Stefan bei der Zieldurchfahrt nach 24 Stunden 57 Minuten und 15 Sekunden heftige Knieschmerzen hatte und sehr müde war, stand über all dem der Triumph und die Genugtuung. Es ist nämlich so, dass in jedem Fahrzeug auch ein Kontrollorgan von einem anderen Team mitfährt - zur Kontrolle, damit das Zweirad nicht etwa gegen das motorisierte Gefährt getauscht wird. Der "Aufpasser" von Stefan war vom Team Hervis, und der wähnte sich beim Start im Geiste schon bald wieder im Hotelzimmer. Andere Teammitglieder von Hervis meinten: "Wirst sehen, du bist am Abend wieder im Hotel. Der schafft das sicher nicht." Anders als seine Kollegen von CASHPOINT, seine Freunde und die Bikeboarder, glaubten diese Leute nicht an Stefan. Er hat sie eines Besseren belehrt und uns bestätigt. "Wir sind stolz auf Dich!"

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Ob unser Held noch einmal das "Race across the alps" fahren wird, das ist seiner Ansicht nach mehr als fraglich. Fest steht, dass er bereits ein neues Ziel ins Auge gefasst hat. Dazu hat ihn wohl Thomas Riegler motiviert. Der hat seines Zeichens das "Race arcross America" gewonnen und sagte nach dem Zieleinlauf, den er 45 Minuten nach Stefan absolvierte (Hut ab, mit 39/27): "Dieses Rennen ist viel härter als die Viererstaffel vom "Race across America." "Wenn das so ist...", meinte Stefan mit einem viel sagenden Schmunzeln und diesem Glitzern in den Augen...

Text: Martina Bauer

Stefan Nemec aka "Bumsti"

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Als Stefan vor vier Jahren beim Eisklettern von einer Lawine 300m tief mitgerissen wurde, hätte wohl niemand gedacht, dass der Niederösterreicher überhaupt wieder einmal normal würde gehen können, geschweige denn sporteln: Unzählige Brüche, Bänderrisse, zertrümmerte Sprunggelenke ... Ein Jahr später jedoch bestritt der 30-jährige schon wieder den Ötztaler Marathon, und nach Siegen beim Wildoner Radmarathon und zwei dritten Plätzen beim Alpenbrevet und dem Austria4 Cup 2003 bekam er vom Veranstalter des RATA das OK, für Cashpoint Bikeboard.at, das härteste Eintagesrennen der Welt in Angriff zu nehmen.

540km und 13.600 Hm stellten sich ihm in den Weg, zwischen dem Start und Ziel in Nauders lagen drei Länder, alle Pässe, die unter Rennradlern Rang und Namen haben, und natürlich die Wetterkapriolen des alpinen Raumes. Nicht einmal 25 Stunden benötigte der Büro-Angestellte dafür - fünf Stunden schneller als geplant.

Sein nächstes sportliches Ziel - das RAAM ... demnächst auf Bikeboard.at ;-)

Alle Infos zum Rennen gibt's unter www.raceacrossthealps.com