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The Pioneer 2016

The Pioneer 2016

20.05.16 23:50 8.958Text: Stefan HacklFotos: Sportograf.comKia Ora! Stage Race-Spezialist Stefan Hackl berichtet von der Premiere des siebentägigen Etappenrennens The Pioneer in den Südalpen von Neuseeland. Eine bildgewaltige Reise ins Land der Hobbits, garniert mit Teamspirit und Rennfieber ...20.05.16 23:50 8.962

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20.05.16 23:50 8.9626 Kommentare Stefan Hackl Sportograf.comKia Ora! Stage Race-Spezialist Stefan Hackl berichtet von der Premiere des siebentägigen Etappenrennens The Pioneer in den Südalpen von Neuseeland. Eine bildgewaltige Reise ins Land der Hobbits, garniert mit Teamspirit und Rennfieber ...20.05.16 23:50 8.962

Mit zwei Baguettes, etwas Marmelade und heißem Tee schlendere ich von der Küche in den Speisesaal des Backpacker Hostels in Christchurch. Es herrscht reges Treiben. Irgendwie erinnert es an zu Hause: Selfies werden geschossen, in alle Richtungen auf Smartphones bzw. Tablets gewischt und telefoniert.
Scheinbar losgelöst von der Umgebung nippt Jane, eine Architekturstudentin aus Minesotta, an ihrem Kaffee und blickt zufrieden auf den wolkenverhangenen Himmel. Zunächst jobbte sie ein Monat in Auckland als Kellnerin, um sich ein Auto zu kaufen. Danach startete Jane lediglich mit einer Karte ihre Reise, die sie bereits zwei Monate kreuz und quer durch den Inselstaat führt. Auf die Frage, wohin sie heute fährt, bleibt sie ihrem Motto treu: "Erst mal die Küste entlang und dann schauen, was sich ergibt." Denn wie sie gestern beim gemeinsamen Abendessen erklärte, möchte die US-Amerikanerin möglichst wenig vorausplanen. Das Vorgezeichnete, Geplante hat ihren Alltag lange genug beherrscht.
"Zu Beginn war´s nicht so einfach auf Facebook und Co. zu verzichten. Aber von Tag zu Tag fühlt man sich leichter" beschrieb sie gestern ihre Erfahrungen. Anstatt möglichst viel zu fotografieren, schreibt die Studentin ihre Eindrücke in ihr Reisetagebuch.
An der Türschwelle stehend, zeigt mein neuseeländischer Teampartner Bevan auf seine Uhr. Damit beginnt meine Reise.

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Prolog: 37 km | 870 Hm

„Go!“ das Team vor uns verklemmt sich im Bike und sprintet los. Während unser Countdown angezählt wird, rücken wir zur Startlinie auf. Adrenalin flutet meine Blutlaufbahn. Als die Hand des Rennleiters zu einer Faust geballt wird, höre ich das „Go!“ nur mehr dumpf, denn das explosive Hormon-Gemisch befeuert bereits meine Muskeln. Mein neuseeländischer Partner Bevan, eine Mischung aus Berliner Hippster und kanadischem Holzfäller, stemmt sich gegen den Wind.
Die ersten Kilometer auf Asphalt führen uns zum „Crocodile Trail“. Der wird seinem Namen gerecht und wir müssen ordentlich Zähne zeigen, um den verwinkelten Anstieg mit Druck zu fahren. Meine viermonatigen Trail-Abstinenz macht sich zwar bemerkbar, aber wir können uns an einigen Teams vorbeischieben. Eine kurze schnelle Abfahrt lässt den Puls etwas sinken, ehe ein verblockter Pfad zum höchsten Punkt und anschließend in einen Bikepark- Downhill mündet. Dort macht mein Hinterreifen schlapp. Zwar kann ich ihn wieder aufpumpen, aber so richtig sollte er die Luft bis zum Ende nicht halten. Somit finishen wir nicht unbedingt glücklich auf dem zölften Platz in der Men-Kategorie (30. Gesamtrang).
An der Spitze werden die Cannondale-Trek Factory Kombi mit dem U23-Weltmeister Anton Cooper und dem australischen WC-Sieger Dan McConnell bzw. die beiden Kona Werksteams ihrer Favoritenrolle gerecht.

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Etappe 1: Geraldine - Fairlie, 106 km | 2480 Hm

Noch verhüllen dunkle Wolken die Sonne, aber der Wetterbericht lässt eine warme Etappe erwarten. So oder so: Es wird heiß hergehen! Während gestern eher Sprintstärke gefragt war, werden heute größere Zeitabstände zu erwarten sein.
Vom zweiten Startblock aus finden wir schnell unseren Weg in die Spitzengruppe. Dort wird auf dem neuseeländischen Farmertrack mit einem 35km/h Schnitt ein beträchtliches Tempo angeschlagen. Nach einer Stunde erreichen wir die ersten richtigen Anstiege. Am Höhenprofil wirkten sie nicht so bedrohlich ...
Proportional zur Laktatproduktion zerfällt die Spitzengruppe in kleine keuchende Leidensgemeinschaften. Auf einer holprigen Rollerpassage arbeiten wir gut zusammen. An der letzten Laabestation vorm Schlussanstieg schließen wir auf das Team epiccymru.com auf Rang 4 auf. Matthew Page wirkt schon etwas mitgenommen, und so halten wir das Tempo hoch. Ein Streckenposten signalisiert den Beginn des letzten Uphills. Ich drücke ordentlich aufs Tempo, sodass nur mehr Bevan folgen kann. Obwohl unsere Verfolger bereits deutlich zurückgefallen sind, gönnen wir uns keine Verschnaufpause. Schließlich zeigt mir das Höhenprofil auf meinem Oberrohr lediglich einen mäßigen "Zacken".

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30 Minuten später lässt der Wiesenpfad noch immer kein Ende erkennen und ich verbeiße mich weiter in die Realität. Mittlerweile glüht die neusseländische Sommersonne auf uns herab. Eine kurze Abfahrt mündet jedoch abermals in ein endlos nach oben zeigendes Schotterband. Matthew Page (GBR) und Sam Gardner (NZL) ziehen an mir vorbei. Wieso musste ich auch schon so früh attackieren? Egal, einfach dran bleiben!
Aber „einfach“ geht jetzt gar nichts mehr und ich muss reißen lassen. Mit einem erleichterten „Puhh“ biege ich endlich in den Downhill. Nur … was sehen meine Augen? Einen Pfeil, und der zeigt nach OBEN! Haben wir uns etwa verfahren? Nein. Brevan kurbelt locker einige Meter vor mir. Ich hingegen wühle hysterisch in meiner Trikottasche, finde aber nur leere Glitzerfolie. Aus der anderen Seite fische ich schließlich ein kleines Beutelchen mit klebrigem Energiebrei. Dessen Inhalt verpufft allerdings förmlich zwischen Zunge und Rachen. Die Beine jedoch ächzen weiter unter der Laktatbelastung.

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400 Höhenmeter später erreichen wir endlich den Downhill. Rasant lassen wir die Mühen zurück. Auf der Flachpassage schließen zwei weitere Teams die Lücke. Aber es wird gut zusammengearbeitet. Als die neuseeländische Olympiahoffnung Kate Fluker in einer engen Kurve vom Bike muss und ich gerade noch ausweichen kann, lähmt ein Krampf mein rechtes Bein. 
Nach einer sowohl harten als auch schmerzhaften Etappe finishen wir auf dem fünften Platz im Herren-Klassement (9. Gesamtrang). Das australisch/neuseeländische Duo feierte seinen zweiten Tageserfolg. Dahinter gab es jedoch eine kleine Überraschung, denn das Kona 1 Team mit 24h-Weltmeister Cory Wallace und Spencer Paxson verlore aufgrund eines Reifendefektes viel Zeit und belegte lediglich den vierten Platz. Damit war der Weg frei für das Kona 2 Team mit Barry Wicks und Kris Sneddon. Unsere Gefährten Matthew Page und Sam Gardner komplettierten das Podest.

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Matteo, ein italienischer Tischler, steht mit einem Fernglas am Bug des Schiffes. Gemeinsam mit drei weiteren Besatzungsmitgliedern fährt er freiwillig Patrouille an der Küste, um illegale Fischer abzuschrecken. Diese Tätigkeit wird er nur noch drei Tage ausüben, dann geht es wieder zurück nach Italien. Als er vor vier Monaten nach Neuseeland kam, wollte er eigentlich nur "abschalten". Aber die Möglichkeit, etwas "Nützliches" für die Natur zu leisten, ließ ihn schnell vom Plan einer gewöhnlichen Rundreise abkommen. "Ich habe zwar kaum was vom Land Neuseeland gesehen; aber die Erfahrungen hier am Boot werden mich wohl ewig begleiten. Die endlosen Weiten des Meeres, die Vögel, die Fische und all das sind so unbeschreiblich."

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Etappe 2: Failie – Lake Tekapo, 74 km | 2.486 Hm

«Wirklich steil» hatte es beim abendlichen Briefing für die heutige Etappe geheißen. Während ich mein Bike in den Startblock A schiebe, hallt der gestrige Nachsatz bei der Fahrerbesprechung nach: „Today was just a warm-up.“
Heute verzichte ich auf ein Höhenprofil am Oberrohr. Nach dem Start preschen die drei Top-Teams dem ersten 1.000-Hm-Anstieg entgegen. Dahinter versuchen wir mit einer Handvoll Teams, den Windschatten auszunützen. Dann stellt sich eine Wand vor uns auf.
Ich bemühe mich, meinen Rhythmus zu finden, denn sonst wird mich der zwölf Kilometer lange Uphill abwerfen. Bevan und Sam Gardner diktieren das Tempo der Verfolgergruppe. Hinter Matthew Page, dem Team Leighs Construction und mir klafft schon eine große Lücke. Langsam schrauben wir uns auf engen Serpentinen bis zur Tragepassage hinauf. Ab hier reduziere ich das Tempo ein wenig, um noch Reserven für die restliche Etappe zurückzuhalten. Einige Teams können sich zwar an uns vorbeischieben, aber nach dem Downhill fahren wir wieder auf sie auf.

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Während des ständigen Aufs und Abs ändert sich auch die Landschaft von anfänglich saftig grünen Wiesen zu immer kargeren Steinformationen. Mittlerweile kämpfen wir alleine gegen den Wind und die brütende Hitze. Am Horizont sind das Mixed Team mit Kate Fluker (NZL) und Mark Williams (NZL) sowie das Masters Team mit Minter Bernard (AUS) und Ian Chitterer (AUS) zu sehen.
Durch den felgentiefen Sand und Kiesel eines ausgetrockneten Gletscherflusses kämpfen wir uns zum finalen Anstieg. Der Rückstand zu den beiden Teams wird zwar kleiner, aber das Loch werden wir wohl nicht schließen können. Hinter uns lauert bereits das Team Leighs Construction in Sichtweite. Schließlich spuckt uns ein flowiger Waldtraildirekt vor der Zielline als fünftes Herren-Duo (8. Gesamtrang) aus. Das Cannondale/Trek-Team setzte indes seine Siegesserie fort und verwies die beiden Kona Teams auf die Plätze zwei und drei.
Bevan radelt in die nahe gelegene Stadt und stillt seinen Heißhunger mit salzigen Chips. Ich verzichte dankend auf jeden weiteren Meter auf dem Drahtesel.
Ein schattiges Plätzchen am Lake Tekapo lässt mich ein traumhaftes Bergpanorama bestaunen. Unsere Zelte sind erst gegen sechs Uhr abends erträglich, denn die Sonne glüht direkt auf die orange 2x1,5m Privatsphäre.

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Etappe 3: Lake Tekapo - Lake Ohau, 111 km | 1.863 Hm

Die Anstrengungen der letzten beiden Tage haben Ruhe in die Führungsgruppe gebracht. Jeder scheint froh zu sein, halbwegs locker auf dem Alps to Ocean Bikepfad strampelnd die erste Hälfte der Etappe abzuspulen. Vorbei an dem türkisblauen Lake Pukaki und schneebedeckten Gipfeln leitet uns der Bikepfad zum Mackenzie-Becken - Filmfans vermutlich aus Herr der Ringe bekannt.
Kurz vor der Labestation bei Kilometer 60 wird das Tempo verschärft, schließlich will man das Gedränge an der Versorgungsstelle verhindern. Ein etwas übermütiger Biker möchte sich an einem kurzen Anstieg an mir vorbeischieben. Dabei fällt seine Kette während eines Schaltvorganges vom Kettenblatt, und schon gehen wir beide zu Boden. Mit ein paar Kratzern kommen wir gerade noch glücklich davon.
Den Anschluss an die Gruppe habe ich damit zwar verloren, aber das ursprüngliche Ziel trotzdem erreicht: ich entgehe dem größten Gedränge beim Flaschenauffüllen. Auf dem folgenden, 20 km und 1.300 Hm langen Anstieg bleiben genügend Möglichkeiten, um sich nach vorne zu schieben.

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Bevan tritt wie gewohnt mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerk und ich versuche, ihm zu folgen. Bald schließen wir auf die Masters- und Mixed-Leaderteams auf. Dann verwandelt sich die Auffahrt in einen steilen verblockten Pfad. Dort verschärfe ich das Tempo, um an das Duo epiccymru.com heranzufahren. Zum ersten und letzten Mal in dieser Woche zeigt Bevan eine kleine Schwäche und kann nicht ganz folgen.
Auf den letzten acht Kilometern versuchen Sam Gardner und ich, die Lücke zum Kona 2 Team zu schließen, das in Sichtweite vor uns liegt. Im Downhill schlägt allerdings der Defektteufel zu. Ein Platten an Bevans Vorderrad lässt uns hinter das Mixed- und Masters- Team fallen, aber der fünfte Platz Men (9. Gesamtrang) ist uns sicher.
An der Spitze lieferten sich die Seriensieger Cooper/Mc Connell und das Kona 1 Team einen harten Zweikampf, wobei der Sieg erneut an das neuseeländisch-australische Duo ging. Das Kona 2 Team komplettierte das Podium.

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Die Abkühlung im Lake Ohau hielt nicht lange an. Im Speisezelt über einen Truthahnburger gebeugt, bleibt mein klebriger Rücken bei jeder Bewegung wie ein Saugnapf am Plastiksessel haften. Das Apfelmus zwischen den Brotscheiben ist zwar etwas gewöhnungsbedürftig, aber der Körper verlangt Brennstoff. Ein zweiter Burger liegt bereits unter einem Stoß Servietten.
Gegenüber saugt der Neuseeländer Michael an seiner Trinkflasche. Nachdem er gestern nach der Zielankunft dehydriert kollabierte, möchte er morgen wieder an den Start gehen. Eine Spur Ungewissheit schwingt in seinen Worten mit. Schließlich steht morgen die Königsetappe am Programm.

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Die beiden deutschen Abiturienten Marie und Erik wanderten in einer fünfköpfigen Gruppe im Westland Nationalpark. Dort schwärmte ein Freund von seinem Wanderurlaub in Neuseeland. Kurzerhand beschloss das Pärchen, die vom Numerus Clausus verursachte halbjährige Wartezeit auf den Studienbeginn bei den Kiwis zu verbringen.
Die heutige Route wird sie zunächst zum Franz Joseph Gletscher und anschließend in ein weiteres Zeltlager führen. „In den europäischen Alpen kann man von Hütte zu Hütte wandern, hier ist man mehr auf sich gestellt. Aber der Abenteuerfaktor ist umso größer, irgendwie fühlt man sich wie ein kleiner Entdecker!“

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Etappe 4: Lake Ohau – Hawea, 112 km | 3.578 Hm

Die Etappe vor der Etappe: Frühstück. Mit dem kleinen Lichtkegel der Stirnlampe vor meinen Füßen stehe ich in der Schlange vor der Essensausgabe. Der Schlaf steckt mir noch in den Knochen. Zum einen waren das Knallen der Dixi-Klotüren und die Reißverschlüsse der Zelte bis spät in die Nacht zu hören; zum anderen wurde der Start um eine Stunde vorverlegt.
Eine halbe Stunde muss reichen, denn meine Transporttasche muss ich auch noch packen. Obwohl sich schon eine gewisse Routine beim Verstauen gebildet hat, schleichen sich immer wieder Fehler ein. Denn erst als ich meine Bikeschuhe anziehen möchte, bemerke ich meine Straßenschuhe. Glücklicherweise liegt meine Tasche noch vorm LKW, sodass ich die Schuhe noch rechtzeitig verstauen kann.

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Als Bevan und ich vom Startblock A auf die Strecke geschickt werden, versteckt sich die Sonne noch hinter den Gipfeln. Erst auf den letzten Kilometern des ersten flowigen Anstieges taucht der wärmespendende Himmelskörper aus der Versenkung auf. Bevan hat heute super Beine und kurbelt scheinbar mühelos an der Spitze. Ich versuche gemeinsam mit dem Masters-Leaderteam meinen Rhythmus zu finden.
Als Bevan außer Sichtweite entschwindet, erhöhe ich mein Tempo am zweiten Anstieg. Nach einer schnellen Abfahrt schließe ich am Beginn des dritten Uphills auf das Mixed-Leaderteam und das Team Leighs Construction auf. Die letzten 200 Höhenmeter werden dann wieder richtig steil. Teilweise muss ich vom Rad, aber mittlerweile habe ich mich von den beiden Verfolger-Duos leicht abgesetzt.
Nach einer technischen Abfahrt und einem kurzen Highway-Abschnitt erreichen Bevan und ich die letzte Labestelle. Schnell füllen wir die Flaschen auf, denn die Konkurrenten preschen bereits heran. Dann beginnt der finale 14-km-Anstieg. Nicht viele werden sich hier an Szenen aus Hobbit erinnern, sondern eher ihre ganz eigene Geschichte schreiben ...

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Schnell lassen wir auch das heute so starke Masters Team Iride (Andrew Young, NZL/Yuri Hauswald, USA) hinter uns. Die Sonne versinkt hinter grauen Wolken und der Wind frischt stark auf. Aber ich fühle mich noch gut. Bevan pedaliert mühelos den Anstieg hinauf. Der böige Wind wird immer stärker, sodass wir sogar Probleme haben, die Balance zu halten. Es kostet richtig Körner sich gegen den Wind zu stemmen.
101 km - eigentlich sollten wir schon seit drei Kilometern in Downhillhaltung dem Ziel entgegenrasen. Aber der Pfad zeigt weiter bergauf. Inzwischen hat das Mixed-Team bereits aufgeschlossen. So muss sich ein E-Biker fühlen, wenn der Akku leer ist, denn ich habe keine Chance, das Tempo der beiden mitzugehen. Mit zittrigen Händen verschlinge ich einen gesamten Riegel.

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Einen Kilometer später hat die Schinderei endlich ein Ende. Aber die Freude darüber dauert nur kurz, denn auch die Teams Leighs Construction und Iride schießen an uns vorbei. Im Downhill halten wir unsere Position und finishen als Siebente (8. gesamt). Die beiden Spitzenteams Cooper/McConnell und Wallace/Paxson lagen bis zum letzten Anstieg Kopf an Kopf. Dann zündeten die Seriensieger ihren Turbo und konnten sich über einen weiteren Tagestriumph freuen.
"Einer meiner härtesten Tage am Bike!" begrüßt mich der Australier Ian Chitterer, der trotz eines schwarzen Tages sein Masters-Leadershirt behält, im Ziel. Mit einem gequälten "Achhh" und einem ordentlichen Biss von meiner Salamipizza pflichte ich ihm bei. Die letzte Stunde hatte ich wie in Trance erlebt, als ob ein Film vor mir ablaufen würde - so aufgebraucht waren meine Reserven. Erst jetzt kommen meine Kräfte langsam wieder zurück.

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Etappe 5: Hawea - Snow Farm, 67 km | 2.022 Hm

Auf den ersten 38 km bis zur Labestelle 1 halten sich Bevan und ich in der ca. 20-köpfigen Spitzengruppe. Obwohl ein kurzer wurzeliger Trail die Gruppe auseinanderfallen lässt, sind die Zeitabstände zu Beginn des Anstieges gering. Nur das Mixed- Team fällt bereits früh zurück.
Mit dem Masters-Leaderteam und weiteren Gefährten kurbeln wir Serpentine um Serpentine hinauf. An einer steilen Rampe können wir uns lösen. In strikten Abständen beiße ich von meinem Riegel ab, schließlich will ich heute den Vorsprung ins Ziel bringen. Bevan schließt bereits auf Matthew Page auf, der ca. 1 Minute vor mir liegt. Das gibt mir erneut einen ordentlichen Ansporn, das Tempo zu erhöhen.
Bei der 10 km Marke haben wir die beiden erreicht. Ein Gedanke geht mir durch den Kopf: "So oft waren wir bereits am Team epiccymru.com dran, wird es heute klappen?" Bevan geht aus dem Sattel und attackiert erneut, aber Gardner bleibt am Hinterrad. Dann jedoch reißt Page ab und wir können Meter gutmachen. Mit starrem, nach vorne gerichtetem Blick wird unser Vorsprung immer größer. Als wir ins Zielgelände einfahren, ist uns der vierte Platz (Men + Gesamtwertung) nicht mehr zu nehmen. Anton Cooper und Dan McConnell gewinnen eine weitere Etappe, die beiden Kona Teams folgen auf Platz 2 und 3.

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Die Sonne ist bereits vor einiger Zeit hinter den Bergen verschwunden, nun hüllt der Mond das Fahrerlager in ein sanftes Licht. Ich liege vor meinem Zelt und beobachte den Sternenhimmel. Als Kind faszinierten mich die Himmelskörper, aber in den letzten Jahren blieb nur selten Zeit, um das nächtliche Lichtspiel bewusst mitzuerleben. Viele Dinge schienen wichtiger zu sein, die aber nun mit jedem Funkeln weiter von mir abrücken.
Mit einem letzten tiefen Atemzug schließe ich mein Zelt und schlafe rasch tief ein.

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Etappe 6: Snow Farm – Queenstown, 62 km | 1.974 Hm

Nach einer schnellen, staubigen Abfahrt zweigt die Strecke in einen Wanderpfad ab. Teils stark verwachsen, muss der eine oder andere Biker unfreiwillig vom Bike. Zwar können die meistens das Rennen fortsetzen, aber für vier Starter endet das Pioneer Race nur wenige Kilometer vor dem Ziel mit Schlüsselbeinbrüchen. Ich lasse es langsam angehen und komme unbeschadet im Tal an.
Leider hat es auch Bevan erwischt. Bei einem Sturz ist sein Schaltwerk gebrochen – sch****, aber immer noch besser als ein Körperteil. Nachdem wir sein Bike auf Singlespeed umgebaut haben, liegen noch 20 Kilometer bis ins Ziel vor uns. Am Ende finishen wir als 51. und rutschen in der Endwertung vom siebten auf den elften Platz. Aber als wir die Finisher- Medaille überreicht bekommen, rückt die verpatzte Etappe in den Hintergrund.
Auf der letzten Etappe schlug die Stunde des Kona 1 Teams, dem es erstmal gelang, eine Etappe zu gewinnen. Die Gesamtsieger Cooper/McConnell finishten als Zweite vor dem Team Kona 2.

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Das Zielgelände liegt ruhig vor dem in warmes Licht gehüllten Bergmassiv. Nichts erinnert hier noch an die ausgelassene Stimmung, die vor wenigen Stunden rund um das Areal herrschte. Nur das nahe gelegene Festzelt lässt es lautstark erahnen. Eine Rockband heizt die Stimmung noch ordentlich an.
"Cheers" prosten Bevan und ich auf eine tolle Rennwoche an. An allen Tischen werden Erlebnisse mit anderen Bikern und den Angehörigen ausgetauscht. So mancher schmiedet sogar schon neue Pläne.
Nach der Siegerehrung verlagert sich die Party ins Stadtzentrum, wo noch bis in die Morgenstunden auf die letzte Woche angestoßen wird. So mancher vergisst den Zugangscode zum Hostel und wird erst nach Sonnenaufgang am Strand von lautem Entengequake aufgeweckt.

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Was ist die beste Route? Und welches Fortbewegungsmittel wählen - Auto, Schiff, Bus oder gar das Mountainbike? Auch wenn Reiseführer, User in Foren und Internet-Rankings ihre Meinungen aufdrängen, gibt es wohl keine pauschale Antworte. Ja, vielleicht sind es genau diese Fragen, die verhindern, dass wir von Touristen zu Reisenden werden?
Oft sind es vermeintlich unscheinbare, kurze Augenblicke - wie sich ein Blatt im Wind bewegt, der Tau eine Wiese in eine glitzernde Fläche verwandelt oder das Sonnenlicht auf der Wasseroberfläche gebrochen wird -, die auf andere vielleicht ganz gewöhnlich wirken, einen selbst jedoch zutiefst beeindrucken und nie wieder loslassen. Wo man sie erlebt, womit man sie erlebt, von wo man sie erlebt - was kümmert's im Nachhinein?
Ob ein Etappenrennen zur Reise wird, hängt von vielen Faktoren ab. Intensiv und emotional ist es allemal. Und wenn erst einmal die Müdigkeit verschwunden ist und die Erinnerungen ein gewisses Sehnsuchtsgefühl entwickeln, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, sich schnell im nächsten Anmeldeportal wiederzufinden. Denn der Durst nach unvergesslichen Augenblicken erlischt nie ...

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Renn-Infos 2017

Termin: 5.-11. Februar
Strecke: 569 km | 15.273 Hm
Modus: Prolog + 6 Etappen | Zweierteams
Website: thepioneer.co.nz

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  • 2 Wochen später...

Danach startete Jane lediglich mit einer Karte ihre Reise, die sie bereits zwei Monate kreuz und quer durch den Inselstaat führt. Auf die Frage, wohin sie heute fährt, bleibt sie ihrem Motto treu: "Erst mal die Küste entlang und dann schauen, was sich ergibt." Denn wie sie gestern beim gemeinsamen Abendessen erklärte, möchte die US-Amerikanerin möglichst wenig vorausplanen. Das Vorgezeichnete, Geplante hat ihren Alltag lange genug beherrscht.

Die heutige Route wird sie zunächst zum Franz Joseph Gletscher und anschließend in ein weiteres Zeltlager führen. „In den europäischen Alpen kann man von Hütte zu Hütte wandern, hier ist man mehr auf sich gestellt. Aber der Abenteuerfaktor ist umso größer, irgendwie fühlt man sich wie ein kleiner Entdecker!“

 

Diese Aussagen gefallen mir. Ein Bericht darüber fände ich wesentlich interessanter und spannender :cool:.

 

Vor allem die Aussage mit dem Entdecker(n) hat mehr mit "The Pioneer" zu tun ;). Oder bezog sich der Titel nur auf die Erstauflage des Rennens?

 

Die Landschaft bzw Fotos sind ein Traum :love:.

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Natürlich jedes Rennen braucht einen Namen, der auch den Leuten ins Auge fällt! Der Veranstalter wählte Pioneer, da er Parallelen zur Besiedelung Neuseelands zog. Die Siedler zogen von Ort zu Ort und mussten so manche Abenteuer bestreiten und Hindernisse überwinden. Ähnliches erlebte so ziemlich jeder Starter in der Rennwoche, deshalb finde ich den Namen ok.

 

Ein solches Rennen ist für jeden eine harte Angelegenheit. Insbesondere für die Starter im letzten Drittel. Sie waren jeden Tag 11,12 oder mehr Stunden im Sattel. Ich weiß nicht, ob du genau erahnst, wie viel Anstrengung, Aufopferung und Disziplin es abverlangt. Diesen Bikern den Abenteuer/Pioneer Geist von der Couch aus abzusprechen, gehört sich nicht.

Übrigens, wennst Trekkingtourenberichte lesen willst, bist wohl besser auf hikeboard aufgehoben.

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