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Geschrieben

Ich habe im Nor-Yungas-Fred Fotos versprochen, es aber nicht bleiben lassen können, auch das entsprechende Gschichtl dazu zu drucken. Weil sich das ziemlich ausgewachsen hat, eröffne ich lieber mal einen neuen fred:

 

Alle Abenteuer fangen klein an. Wir zum Beispiel hatten mehrere Tage unfreiwilligen Boxenstopps in La Paz totzuschlagen. Die Busfahrer streikten. Nicht die innerstädtischen, das wäre nicht so schlimm gewesen, es gibt tausende Ticos, kleine billige Taxis. Die Überlandbusfahrer verweigerten die Arbeit und unser Weihnachts-Kurzurlaub nach Bolivien (meine Freundin und ich waren damals gerade ein halbes Jahr in Peru) drohte in die Länge zu wachsen. Gegen die Langeweile schien ein kleiner Tagesausflug mit dem Rad gerade recht. Nichts Spektakuläres, fast 4.000hm Downhill und 80km Strecke mit einer einzigen kleinen Gegensteigung auf der gefährlichsten Straße der Welt (behaupten die Bolivianer, aber die sind noch nie im 2. Bezirk Rad gefahren) von den Anden in den Amazonas. Nach mehreren Monaten Lateinamerika ist man Superlativen gewöhnt, fast schon etwas highlight-gelangweilt, aber was da kommen sollte war dann doch besonders.

 

Die Tour selbst ist für lateinamerikanische Verhältnisse touristisch, da gibt’s nichts dran zu leugnen. Kartenstudium, Bikecheck, Essen, Shuttle usw organisieren kleine Touranbieter, die man unweit des Mercado de Hechiceria antrifft. Wer am Zaubermarkt keine getrockneten Lama-Föten, eingelegte Organteilchen, Knochen, Fetische, Adlerschwingen oder Jaguarfelle erwerben will (tja, vor diesem Angebot erblassen die Delikatessenhändler am Naschmarkt), kann bei einem der vielen Touranbieter einen besonderen Zauber buchen: „Downhill-Madness“.

 

Die Räder sind nichts besonderes, erstaunlicherweise Fullys, aber in einer Ausstattung, die selbst einem Baumarktverkäufer die Schamesröte ins Gesicht treiben würde. Egal, wer gesehen hat, womit die Bolivianer sich fortbewegen (und zwar nicht bloß „downhill“), der wird über sein Luxusgefährt nicht weiter motzen. Zunächst geht’s aufwärts, in einem kleinen Bus, der sich die steilen Straßen am Stadtrand von La Paz höher schraubt. La Paz stellt die üblichen Maklervorstellungen auf den Kopf. Wer sich’s leisten kann wohnt unten im Tal, tausend Meter tiefer als die ärmsten Einwohner, die dort hausen, wo die Ausläufer der Stadt über den Kesselrand des steilen Tals ins flache Altiplano wuchern und der ewige, eiskalte Wind die Gemüter kratzt. Nachts sehen die steilen Flanken des Kessels zauberhaft aus. Millionen kleine Lichtlein haften in den senkrechten Wänden, die die Dunkelheit verdeckt, sodass man Downtown zwischen Stahl-Glas-Beton-Gebäuden stehend meint, die Ränder der Milchstraße hängen in die Stadt herein. Tagsüber ists nicht so hübsch. Es sind die Lichter der Slums, die nachts funkeln und deren Häuser teilweise fast senkrecht übereinander in die steilen Lehmwände des Talkessels gebaut scheinen. Am Abra La Cumbre werden die Bikes gesattelt. Der Pass liegt hoch über La Paz auf 4.650m Seehöhe). Eierschalenhelme und Warnwesten werden ausgeteilt. Die Szenerie wirkt vertraut hochalpin und ist doch (lediglich mittel-)hochandin. Die ersten Kilometer ist die Straße breit und asphaltiert. Wer den rostigen Bremszügen traut, kann es her ordentlich rauschen lassen. Eine kleine Ewigkeit saugt uns die Schwerkraft nach unten. Den Guide überholen ist leider verboten, wer mit ein bisschen Spanisch die Rennleidenschaft des Guides weckt, kommt trotzdem schnell voran (die langsameren werden vom zweiten Guide eingesammelt, der am Ende der Gruppe fährt). Die Straße verläuft in einem Hochtal. Von Steilabbrüchen keine Spur.

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Geschrieben

Nach einer Weile endet der Asphalt. Von einem Seitental stößt eine weitere Straße hinzu. An der Kreuzung stehen mehrere Holzbaracken am Rande eines Steilabbruchs. Den Vorhang am Eingang einer dieser Baracken schieben wir beiseite. Im Halbdunkel sind mehrere grob gezimmerte Tische erkennbar, die im Lehmboden des Raums verankert sind. Ein Radio dröhnt uns rauschend die Ohren zu, während wir graugekochte Hühnerhaxen essen. Ein weiterer Vorhang führt zu einem kleineren Raum mit einem Loch am unteren Ende der Außenwand. Wer sich erleichtern muss, pisst durch dieses dreckige Loch in die steile Bergflanke hinunter. Wem vor dem penetranten Gestank graust, kann dasselbe auch außerhalb der Baracke tun. Was ihre Bergflanken betrifft, sind die Bolivianer nicht so…

 

Nach dieser Pause geht’s zunächst bergab, dann kurz bergauf. Am Ende der Steigung wartet das Militär. Es gilt, den Drogennachschub abzuriegeln. Die Yungas sind bekannt für das Geschick ihrer Bauern, aus Coca-Blättern (die in Bolivien und Peru legal sind) teure Pulver zu kochen. Deshalb: Reisepass nicht vergessen, sonst wird’s nix mit dem Abfahrtsrausch.

 

Nun macht das Tal weit auf, der Talboden fällt jäh ab, die Straße schwebt schon bald hunderte Meter über der Talsohle. An der rechten Bergflanke zieht sich ein dünnes, beiges Schotterband hoch über dem Talboden bis zum Horizont durch die üppig wuchernde tropische Wegetation. Die Bergflanken sind zugewachsen, man sieht kaum ein Stückchen Felsen zwischen den Pflanzen. Bald bricht der Felsen tatsächlich senkrecht unter der Straße ab. Wer hier fällt, landet ganz unten. Der Weg wirkt wie ein halbierter Tunnel (ähnlich der Uina-Schlucht, nur höher, länger, weiter, heißer, feuchter…). In den Felsnischen stehen kleine Kreuze. Sie markieren Absturzstellen. Nein, nicht einzelner Personen, sondern ganzer Reisebusse und Lastwagen, die oft nicht nur Waren sondern auch ganze Ladungen voll Menschen geladen haben, die mit ihnen in die Tiefe stürzen. Opferkerzen flackern flackern immer wieder in den Nischen. Sie markieren Absturzstellen jüngerer Zeit. Wer an solchen Stellen den Blick über den unbefestigten Straßenrand in die Tiefe wagt, kann zwischen dem satten Grün des Talbodens zerfetztes Blech in der Sonne glitzern sehen. Wenige Tage bevor wir die Yungas durchqueren, ist ein Lastwagen mit dutzenden Menschen in die Tiefe gestürzt. Der Lastwagen passierte eine Stelle, an der kurz zuvor ein Bus abgestürzt war. Ein Mitreisender hat angeblich gerufen, dass er das Wrack in der Tiefe sehe, worauf alle Passagiere sich auf die Seite zum Abgrund hin warfen, um auch noch einen Blick nach unten zu erheischen. Der schlecht gefederte Kleinbus kippte und stürzte in die Schlucht. Keiner überlebte.

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Geschrieben

Es wird immer heißer und feuchter, der Schlamm-/Schotterbelag der unbefestigten Straße immer tiefer. Wasserfälle stürzen aus den senkrechten Felsen über der Straße und rasen weitere hunderte Meter in die Tiefe, ohne die Straße auch nur zu berühren. Manche Wasserfälle sind der Straße besonders nahe. Der feuchte Sprühnebel, der sie umgibt, bedeutet für uns eine willkommene Abkühlung.

 

Bei einer kleinen Bachdurchfahrt spritzt uns kühles Wasser entgegen. Kinder spielen im Bach und lachen. Das Tal ist wieder breiter, der Abgrund unter der Straße verschwunden. Nach fast 4000 hm sind wir unten angelangt. Bananenstauden und tropisches Strauch- und Baumwerk säumt die Straße. An einer befestigten Brücke stehen mehrere Häuser. Wir sind an Puente Yolosa angelangt, dem tiefsten Punkt der Tour. Wer weiter nach Corioco will, muss wieder bergaufradeln. Wir bleiben den Nachmittag hier, trinken picksüße Limonade und bitteres Bier. Die Kinder umlagern uns, spielen mit uns Fangen und lachen uns aus, wenn wir wieder zu langsam sind. Unser Kleinbus, der uns zurück nach La Paz bringen soll, steht zwar schon bereit. Noch ist die Straße jedoch nur bergab fahrende Fahrzeuge freigegeben. Wer bergauf fahren will, muss noch bis 17.00 Uhr warten (und bis spätestens 5.00 Uhr früh oben angekommen sein). Diese Einbahnregelung soll waghalsige Ausweichmanöver vermeiden. Wer die Gesetzestreue der Bolivianer kennt, befürchtet nicht, dass ihm diese Regelung die Chance auf spannende Ausweichmanöver verderben könnte…

 

Schließlich fahren wir im Bus bergauf. Dort, wo die Straße am schmälsten und der Abgrund am tiefsten ist, gibt’s Stau und Tohuwabohu. Ein LKW ist in einer Außenkurve zu weit an den Straßenrand gefahren. Der Straßenrand ist abgebrochen. Die Vorderachse hängt in der Luft. Durch das Loch klafft der Abgrund an der Straße hunderte Meter tief. Aus eigener Kraft kann sich der Lastwagen aus seiner Situation nicht mehr befreien.

 

Abschleppwägen sind keine zur Stelle. Hinter dem Lastwagen stehen dutzende Kleinfahrzeuge, die zu schwach zum Abschleppen sind. Die stärkeren Fahrzeuge kommen durch den Stau nicht an die Absturzstelle. Der Fahrer sitzt geknickt im Führerhaus, das ebenfalls über dem Abgrund schaukelt. Andere Fahrer schimpfen. Sie haben Liefertermine einzuhalten und wollen den Lastwagen in die Tiefe schieben, um die Straße frei zu bekommen. Der Lastwagenfahrer will sein Fahrzeug nicht verlassen, um es zu retten. Solange er drinnen sitzt, werden die anderen es wohl nicht in die Tiefe stürzen. Plötzlich taucht wie aus dem Nichts von oben ein Lastwagen auf, der den liegen gebliebenen Lastwagen schnell nach oben zu einer Ausweichstelle schleppt. Die Straße ist wieder frei. Der Stau schiebt sich langsam an der Engstelle am neu entstandenen Abbruch vorbei und kriecht höher, nur mehr 3000m nach La Paz – Höhenunterschied!

 

Tja, bevor ich’s vergesse: das war in der ersten Jännerwoche 2003, seit damals kann sich natürlich einiges geändert haben. Wer gerade in der Ecke ist, sollte sich das trotzdem nicht entgehen lassen.

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