
E-Hardtail vs. E-Fully
16.09.19 08:32 16.8252019-09-16T08:32:00+00:00Text: Luke BiketalkerFotos: Erwin HaidenNeben dem Antriebskonzept steht beim E-Bike-Kauf vor allem eine Frage im Raum: "Reicht" ein Hardtail oder "braucht" es doch ein Fully? Wir versuchen uns an einer Antwort ...16.09.19 08:32 16.8352019-09-16T08:32:00+00:00E-Hardtail vs. E-Fully
16.09.19 08:32 16.8352019-09-16T08:32:00+00:008 Kommentare Luke Biketalker Erwin HaidenNeben dem Antriebskonzept steht beim E-Bike-Kauf vor allem eine Frage im Raum: "Reicht" ein Hardtail oder "braucht" es doch ein Fully? Wir versuchen uns an einer Antwort ...16.09.19 08:32 16.8352019-09-16T08:32:00+00:00Auch wenn mitreißende Werbebotschaften, in ihrer Unvoreingenommenheit voreingenommene Magazintests und Ratschläge in Foren die Entscheidung scheinbar leicht machen: Die Wahl zwischen E-Hardtail und E-Fully sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn beide Konzepte haben ihre klaren Vor- und Nachteile.
Wir hatten die Chance, beim heimischen Hersteller Bärenbikes Zeit im Sattel von E-Fully Bären Grizzly und E-Hardtail Bären Peak zu verbringen. Beiden gemein ist die Laufradgröße von 27,5+. Ebenso rollen beide Räder mit Shimanos Steps E8000 Antriebskonzept über die Trails. Eine ideale Basis also für einen Konzeptvergleich.
E-Hardtail, das
Starres Heck, Rahmen meist aus Aluminium und nur selten in Carbon, dazu Federgabeln mit 100 bis 130 mm Federweg - mehr ist (in der groben Theorie) an einem guten Hardtail nicht dran. Die jüngste Flut an voluminösen 27.5 x 2.6/2.8 Reifen macht wohl an keinem anderen Fahrradkonzept mehr Sinn als am E-Hardtail respektive an dessen Hinterhand. E-Hardtails sind ob ihrer Konstruktion meist deutlich leichter als ihre vollgefederten Brüder. Ein Vorteil, der sich nicht nur während der Fahrt, sondern auch im Handling zwischen Autotransport, Wohnung und Keller positiv bemerkbar macht. Denn auch wenn man es nicht glauben mag: zwischen 21 und 25 kg können Welten liegen, versucht man den elektrifizierten Hobel über Treppen oder Kofferraumkanten zu wuchten. Außerdem bieten Hardtails so gut wie immer, auch ohne integrierte Akkulösungen, eine Möglichkeit zur Flaschenhalter-Montage. Durch den Wegfall von Dämpfer und Umlenkung bleibt den Entwicklern meist auch die Möglichkeit, den Rädern mehr Überstandshöhe zu erlauben - gut vor allem für kleinere Piloten und Pilotinnen.
Gerade am Hardtail-Sektor finden sich allerdings auch einige schwarze Schafe mit angestaubter bis komplett veralteter Geometrie. Auf Plus-Reifen sollte man nur in Ausnahmefällen verzichten (dann, wenn man sich eigentlich auch im Trekking-Sektor bedienen könnte), und auch auf hochwertige Gabeln von Rock Shox Judy/Fox 32 aufwärts sollte man achten. Bei den Bremsen ist es ebenfalls schlau, einen Bogen um unbekannte Hersteller und vor allem um zu kleine Scheiben zu machen. Vier-Kolben-Bremsen stehen dem Konzept zumindest an der Front stets gut zu Gesicht. Weniger aufwendige Konstruktion und wohl auch geringere zu deckende Marketingsummen im Rücken machen E-Hardtails bei vergleichbarer Ausstattung schnell mal 1.000 bis 2.000 Euro günstiger als E-Fullys.
E-Fullsuspension, das
Schluckfreudige Hinterbauten mit Federwegen zwischen 120 und 170 mm und analogen Federgabeln, Laufräder je nach Auslegung irgendwo zwischen 27.5+ und mitunter nicht minder voluminösen 29“, dazu generell eher robuste Ausstattung und Rahmen aus Aluminium, immer häufiger aber auch aus Carbon. Gerade unter dem Deckmantel der E-Enduros und E-Trailbikes sind E-Fullys aktuell wohl der Marketingabteilungen liebste Cash-Cow. Kaum ein Hersteller wagt es, dem Sektor fernzubleiben - und kaum ein Kunde kann den hochgelobten Fähigkeiten der Schweizer Taschenmesser widerstehen. Wer ein E-Fully erwägt, sollte auf jeden Fall ausgiebig probefahren, denn die Differenzen in der Geometrie bei selber Federwegsklasse sind teils immens - auch wenn es auf Herstellerseiten und vor allem in der Nomenklatur anders propagiert wird.
Wer nach agilerem Handling sucht, sollte sich unter den 29“ Angeboten umsehen; sucht man eher Komfort und Sicherheit in vielleicht individuell etwas überforderndem Terrain, sind 27.5+ immer eine gute Wahl. Wer auch bergauf mit viel Schwung über Trails donnern möchte, dem seien auch die gemischten Konzepte mit 29“ an der Gabel und traktionsstarken 27.5+ Reifen am Hinterrad ans Herz gelegt. Doch wenn schon Federweg, sprich Fully, dann gleich ordentlich. Denn ob der Motor nun 120 oder 160 mm Fahrwerk durch die Gegend wuchtet, ist egal. Dafür hat man mit dem Mehr an Federweg bergab deutlich mehr Reserven und die Komponenten der langhubigen Bikes sind in der Regel robuster ausgelegt. Doch auch am Fully gilt: Augen auf bei der Modellwahl. Bei den Gabeln leistet sich selten ein Hersteller Fehlgriffe, allerdings wird bei Bremsen und Laufrädern mitunter gern der Rotstift angesetzt. Viele Modelle mit integriertem Akku bieten mittlerweile auch großzügigen Raum für Flaschenhalter, falls dies als Kaufargument zählen sollte. Räder mit integriertem Akku sind zwar optisch schöner, bringen meist aber auch ein Mehrgewicht von zumindest 500 g mit sich.
Geometrie in Größe Large
Rahmenhöhe: | Hardtail Bären Peak | Fully Bären Grizzly |
Sitzrohrlänge (mm): | 490 | 470 |
Oberrohrlänge (mm): | 637 | 622 |
Steuerrohrlänge (mm): | 115 | 140 |
Kettenstrebenlänge (mm): | 440 | 460 |
Lenkwinkel (°): | 66 | 67 |
Effektiver Sitzrohrwinkel (°): | 64 | 70 |
Tretlagerabsenkung (mm): | 55 | 20 |
Radstand (mm): | 1195 | 1227 |
Stack (mm): | 610 | 640 |
Reach (mm): | 446 | 443 |
E-Fully vs. E-Hardtail
Nur ein Fully ist komfortabel und mit Hardtails kann man nicht ins schwere Gelände - klingt vernünftig, ist aber vollkommener Schwachsinn. Beginnen wir bei besagtem Komfort. Ja, ein federnder Hinterbau hält auf Forststraßen und über wurzelige Passagen Schläge und Vibrationen von Beinen, Gesäß und Rücken fern. Ein klarer Punkt für das Fully. Doch mit voluminösen Reifen in 2.6 oder gar 2.8“ Breite und entsprechend niedrigem Luftdruck können auch Hardtails ein gehöriges Maß an Komfort bieten. Gerade wer einen Großteil seiner E-Bike Zeit auf Forststraßen - in Österreich auch gern offiziell beschilderte MTB-Route genannt - verbringt, kommt mit der Dämpfung breiter Reifen locker aus und kann sich den teuren Aufpreis zum Fully getrost sparen.
Auch die Sache mit der Traktion hängt eher vom Reifen und dessen Druck ab, als vom gern besungenen traktionsstarken Hinterbau. In technisch schwierigen Anstiegen ist es also nicht so leicht, einen Favoriten zu wählen. Als Faustregel kann gesagt werden: je steiler und verzwickter, sprich langsamer der Uphill, desto eher spielt das Hardtail seine Stärken aus. Soll es wie im Sattel einer Benzin-befeuerten Enduro mit hoher Geschwindigkeit über Trails bergan gehen - der viel besungene Uphill-Flow - ist das Fully klar im Vorteil, weil man damit auch mal im Sitzen über Stufen und Wurzeln holpern darf.
Tech Specs
Hardtail Bären Peak | Fully Bären Grizzly | |
Rahmen: | Bären Aluminium 6061 | Bären Aluminium 6061 Full Suspension |
Größen: | S,M,L,XL | S,M,L,XL |
Farbe: | Perlopalgrün/Schwarz | Schwarz/Silver |
Gabel: | Rock Shox FS Sektor RL 120 mm | Rock Shox Pike 27.5", 150 mm |
Dämpfer: | - | Rock Shox Monarch 200 x 57 mm |
Motor: | Shimano Steps E8000 | Shimano Steps E8000 |
Akku: | Shimano Steps E8000 500 Wh | Shimano Steps E8000 500 Wh |
Antrieb: | Shimano XT/SLX, 11 speed, 11-46 Z | Shimano XT 11-fach, 11-46 Z |
Bremsen: | Tektro Orion 4P | Tekro Orion 4P |
Reifen: | Maxxis Rekon+ 27.5 x 2.8" | Maxxis Minion DHR/Rekon+; 27.5 x 2.8" |
Lenker: | Bären Aluminium | Bären Alu, 740 mm, 15 mm Rise |
Vorbau: | Bären Aluminium | Bären Alu |
Laufräder: | Novatec Naben auf WTB-ST i35 TCS 2.0 27.5 | Novatec Naben auf WTB-ST i35 Felgen |
Sattelstütze: | Kind Shock E201, 125 mm | Kind Shock E20, 125 mm |
Sattel: | Velo | Velo |
Gewicht: | 21,0 kg | 22,6 kg |
Preis: | € 2.999,00 | € 4.299,00 |
Set it and forget it - wer sich mit der Materie E-Bike bis aufs Fahren nicht weiter auseinandersetzen möchte, ist wohl auch mit einem Hardtail besser beraten. Denn selbst am Trail wagen wir zu behaupten, ein gutes Hardtail mit moderner Geometrie ist einem schlecht abgestimmten Fully in Sachen Spaß deutlich überlegen. Unterstützen Hersteller und Händler nicht beim Setup, kann es für weniger technik-affine Biker am Fully schwer werden, den Hinterbau in würdiger Weise auf Linie zu bekommen. Moderne Gabeln hingegen kann auch der Laie rasch in akzeptabler Weise zum Funktionieren bringen - und mehr ist an einem Hardtail nicht dran.
Leichtfüßigkeit des Hardtails vs. schwerfälliges Fully. Auch hier darf man sich nicht von Vorurteilen täuschen lassen. Klar, ein Hardtail beschleunigt gefühlt flott und spritzig. Doch auch 29er Fullys können gerade im echten Gelände oft ebenfalls mit Spritzigkeit überzeugen. Vor allem in niedrigeren Tempobereichen, auf engen und mitunter verzwickten Wanderwegen, kann ein erfahrener Mountainbiker im Sattel eines E-Hardtails richtig Spaß haben.
Bergab und hier vor allem am echten Trail trennt sich dann doch relativ rasch die Spreu vom Weizen. Auf klassischen Waldwegen mit vereinzelten Wurzelteppichen und moderatem Gefälle macht das agile Hardtail Laune. Doch wer auf Tour gern mal etwas anspruchsvolleres Gelände unter die Räder nimmt, vor steilen Stufen und verblocktem Terrain nicht zurückschreckt oder umgekehrt einfach ob seines Fahrkönnens nach Sicherheitsreserven sucht, hat mit dem E-Fully die besseren Karten auf der Hand. Lange Gabeln und vor allem echter Federweg am Hinterbau verzeiht bereitwillig Fahrfehler und kleine Unachtsamkeiten, die am Hardtail wohl in Stürzen oder Defekten enden würden.
Bergab sei ein E-Fully also zwei Fahrertypen ganz besonders ans Herz gelegt: einerseits erfahrenen Piloten, die es bergab richtig krachen lassen wollen, andererseits aber auch Einsteigern und unsicheren Fahrern, die für ihre ersten Gehversuche im Gelände nach etwas Sicherheit suchen. Ein E-Hardtail bietet sich für gemäßigten Abfahrten und wirklich leichte Trails für jedermann an. Werden die Trails technischer und verblockt, profitieren vor allem gute Fahrer von der Wendigkeit und Leichtigkeit moderner E-Hardtails.
Fahrertypen und ihr Arbeitsgerät
Der Forststraßen- und Marathonreiter
Das Angebot an offiziellen MTB-Wegen in unseren Breiten ist enorm, meist aber auf Forststraßen begrenzt. Doch wenn man sich ehrlich im eigenen Bekanntenkreis umsieht, ist es genau das, was der Großteil der MTB-Community aktuell betreibt. Nach Feierabend gemütlich über geschotterte Waldautobahnen raus in die Natur und weg von der Hektik des Alltags. Oben am Berg dann ein schöner Aussichtspunkt, oder - noch besser - eine gemütliche Hütte und ein entspanntes Bier mit Freunden. Und dann vor Sonnenuntergang wieder auf selber oder ähnlicher Route bergab. Es geht um das Bewegen in der Natur und das Erlebnis an sich - ob ein Trail ins Tal führen würde oder nicht, ist tatsächlich egal. Eindeutiges Herzblatt? Das E-Hardtail.
(Wieder-)Einsteiger mit Geländeambitionen
Die großen Berge waren in den vergangenen Jahren eine zu große Hürde. Job und Familie nehmen einfach zu viel Zeit in Anspruch, um fit genug für lange Anstiege zu sein. Mit dem E-MTB kann die (alte) Leidenschaft nun mit viel weniger Leid und mehr Spaß wieder aufgegriffen werden. Die zusätzlichen Watt der E-Bikes beruhigen den inneren Schweinehund und senken die Hürde zur Herausforderung Gipfelsieg. Oben angekommen, ist man durchaus nicht abgeneigt, sich wie in früheren Zeiten an dem einen oder anderen Trail zu versuchen. Schließlich verdient man sich im Schweiße des Anstiegs die Freuden der Abfahrt. Und auf Trail ist es - vorausgesetzt Streckenwahl und Fahrkönnen gehen Hand in Hand - immer abwechslungsreicher als auf der Forstautobahn. Hier sollte man vor allem ehrlich zu sich selbst sein. Wenn vor der eigenen Haustüre schlichtweg Wald- und Wiesen-Trails das Bild dominieren, muss es nicht gleich das vielleicht optisch immens reizvolle E-Enduro aus der Werbung sein. Tatsächlich kann ein Rad auch zu potent für einen Trail sein und das Erlebnis vielleicht sogar langweiliger machen. Wer also auf einfachen Wegen und Trails zwischen S0 und S1 sein Zuhause findet oder finden will, dem genügt ein gut gemachtes, agiles E-Hardtail locker. Wer hingegen den Wunsch verspürt, anspruchsvolleres Geläuf unter die Räder zu nehmen, an seiner Fahrtechnik zu feilen und einen Schritt voran zu machen, kommt um das fehlerverzeihende E-Fully kaum herum.
Der erfahrene Biker mit gesunder Neugier auf Vitamin-E
Das Mountainbike begleitet oder bestimmt die Freizeitgestaltung seit Jahren, aber aus vielerlei Gründen - Neugier, Zeitbudget, Fitnesszustand, Alter, bloße Faulheit (wir finden, man sollte sich nie selbst belügen ;) ) - wird der künstliche Rückenwind immer interessanter. Die Touren dürfen ruhig ausgedehnt und abwechslungsreich sein. Vor allem in den Monaten mit wenig Tageslicht lässt sich am E-MTB noch eine Feierabendrunde durchbringen, wo das Bio-Bike im Keller bleiben müsste. Je nach Hausstrecke und Vorlieben gestaltet sich auch hier die Frage nach E-Fully oder E-Hardtail wohl am komplexesten. Wer ohnehin viele Kilometer in den Beinen hat, weiß meist ganz genau, wonach er sucht. Allerdings sei erwähnt, dass gerade für gute Fahrer ein trailtaugliches Hardtail für die schnelle Feierabendrunde ideal scheint. Denn damit werden alte, vielleicht langweilig gewordene Passagen wieder zur Herausforderung und die breiten Plus-Reifen gestalten das Fahrverhalten und "Durchgerüttel" deutlich angenehmer, als man es von antiquierten Hardtail-Zeiten vielleicht noch im Hinterkopf haben mag. Gerade in technischen Passagen ist es oft ein großer Spaß und geduldige Fahrtechnikschule, tastet man sich am wendigen Hardtail mit sauberer Technik durch Spitzkehren, über Stufen und durch Steinfelder. Außerdem hat die "Einfachheit" des Hardtails seinen ganz besonderen Reiz - sowohl bergauf, als auch bergab. Je technischer die Hausrunde oder das Wochenend-Revier, desto näher sollte man sich dem E-Fully fühlen.
Der Speed Junky auf der Suche nach maximalen Tiefenmetern
Ganz klar - wer auf Druck bergauf und bergab durch die Wälder heizen, Forstraßen nur als Zubringer zum nächsten Trail und das E-Bike als Erweiterung des Aktionsradius und zur Maximierung der Tiefenmeter nutzen möchte, sollte zum maximalen Federweg greifen. E-Enduro heißt hier die eindeutige Marschrichtung. Federweg satt, idealerweise progressive Geometrie, vielleicht sogar ein Laufradmix aus 27.5 und 29" und ein kräftige Motor lassen mit und gegen die Gravitation das Grinsen kaum aus dem Gesicht schwinden.
E-Hardtail oder E-Fully - welcher Elektro-Hobel ist euer Herzblatt?
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