Buchdrucker47 Geschrieben 22. Januar 2013 Autor Teilen Geschrieben 22. Januar 2013 Liebe Boardies, dem Kaiser hab`ich nicht mehr die Hand geschüttelt, dafür kam ich ca 40 Jahre zu spät in dieses Kasperltheater, das man Welt nennt. Gestern saß ich, wie immer ganz elegant, in einer Bar an einer Bar des berüchtigt ruhigen Rentnerviertels Gerasdorferstraße, allseits bekannt bei schläfrigen Veterinärmedizinern, weil sich dort die Füchse gute Nacht sagen. Als mein Nachbar, auch ein Älterer, der noch fast dem Kaiser die Hand oder sonstwas Kleines geschüttelt hätte (wäre er dessen Kammerdiener gewesen), plötzlich erwähnte, dass er Buchdrucker gewesen seie, meldete sich, man mag es fürwahr nicht glauben, binnen Kurzem ein nebenansässiger mediaval aus- sehender Mitsprechling und meinte, dass er Handsetzer gelernt hätte. Dann fielen Worte, eins fiel dorthin, eins fiel hierhin und plötzlich ein Name, bei dessen Erwähnung sich uns allen die Nackenhaare sträubten, wie bei einem Porschefahrer, der auf einer ganz schmalen Bergstraße eines Radfahrers ansichtig wird und weiß, den kann er nicht überholen. Ha! Welch Triumvirat! Eine Renaissance für schon längst vergessen geglaubte Fachausdrücke! Ein Schwelgen in Zeiten, die sogar noch der Herr Gutenberg ohne Doppel "t", als die Seinen erkannt hätte! Zurück zur Nackenhaarsträubung: Gemeinsam wurden wir blass, gemeinsam funkelte der Hass aus jetzt zu Schlitzen mutierten Augen, denn ER war das FEINDBILD PAR EXCELLENCE im grafischen Gewerbe Wiens. Der Grund, warum ich überhaupt in dieser Sklavendruckerei meinen Frondienst antrat, ist leicht erklärt. Es war die finanzielle Notlage und die Nähe zu meinem Wohnort. Dem Arbeitsamtsbeamten, der mich ohne Vorwarnung in die Hölle schickte, wünsche ich noch heute die Pest an den Hals! Pünktlich erschien ich um sieben Uhr mogens, um sogleich festzustellen, dass ich einen Rückstand von drei Wochen aufzuarbeiten hätte. (Jaja, der Arbeitskräftemangel). Nachdem sich dieses große, breite, graue Monster von Metalltür hinter mir mit einem lauten Klacks elektromotorisch geschlossen hatte, ward mir plötzlich klar: Das ist eine Strafanstalt für Schwerverbrecher! Mein Verdacht wurde bestätigt, als ich im Chefbüro einer Parade von fünf Monitoren ansichtig wurde, die sämtliche Abteilungen optisch abdeckten. Und nicht nur optisch, wie ich schon wenig später konstatieren musste. In allen Abteilungen waren Gegensprechanlagen montiert, aus denen sich die schleimbeutelhafte des Chefs zu Wort meldete, wenn man zu lange mit einem Arbeitskollegen sprach. (Die übliche Antwort lautete: Wir besprechen ein fachliches Problem). Der Betriebsrat, der die Überwachung abnickte, wurde mit 200 ÖS plus wöchentlich besänftigt. Als ich dann endlich mein Minus am Konto abgedeckt hatte, kündigte ich sofort, aber nicht wie sonst fristlos, wollte ich doch der Segnungen des aliquot auszuzahlenden Urlaubs- und Weihnachtsgeldes teilhaftig werden! Aber auch von dieser Kündigungsfrist gibt es noch Lustiges zu erzählen! Da ich terminell bedingt, schon um 16.15 gehen wollte, der offizielle Betriebsschluss aber erst um 16.30 stattfand, klopfte ich an`s Büro- fenster, mit der Bitte, man möge mir öffnen. Die Prokuristin verweigerte dies, mit dem Hinweis, dass die offizielle Arbeitszeit erst eine Viertelstunde später stattfände. Handys gab`s damals leider noch nicht, aber die Drohung, dass ich sie wegen Nötigung anzeigen würde, veranlasste sie, das Tor zu öffnen. Ganz drollig empfand ich es, als mich der Geschäftsführer bat, einen Kunden (Werbeagentur) zu beraten, obwohl er wusste, dass ich mich in der Kündigungsfrist befand. Fünf Minuten später beim Kunden angekommen und mit dem Problemchen konfrontiert (sollen wir die Perforierlinie drucken oder wirklich perforieren), erwiderte ich, dass er sich gar nicht vorstellen könne, wie scheißegal mir dies sei. Sie mussten dann selbst lachen, als sie den Grund meiner Wurstigkeit erfuhren, hegten aber Zweifel an der geistigen Gesundheit der Geschäftsleitung. Es geht in die Heia und grüßt Euch herzlich Hans Click me Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Sugarbabe Geschrieben 28. Januar 2013 Teilen Geschrieben 28. Januar 2013 welch erquickende Prosa, die mir so den Abend versüßte Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Buchdrucker47 Geschrieben 29. Januar 2013 Autor Teilen Geschrieben 29. Januar 2013 Liebe Boardies, manche von Euch (diejenigen, die "Masern und Mumps" gelesen haben) wissen es, - mir wohnt eine gewisse Affinität zu Leichen inne. Sie sind faszinierend. Sie haben uns etwas voraus, etwas, das auch uns erwartet: den Tod. Diejenigen, die das Thema lieber verdrängen, haben deshalb schon aufgrund des Titels diese Story gar nicht angeklickt. Eigentlich wollte ich eine Story über eine Reise zu einer Moorleiche in Dänemark schreiben, die ich vor Jahren mit Zug, Schiff und Fahrrad unternahm, doch dann überbordete das Vorwort und ich musste umtitulieren. Das Manuskript ist aber noch vorhanden und wird, so gewollt, nachgebracht! Wir alle halten den Gedanken an den Tod und das eigene Sterben nur deswegen aus, weil wir, wenn wir ehrlich sind, es uns gar nicht vorstellen können, dass es uns selbst beträfe, besonders wenn wir noch jung sind. Radrennfahrer rasen mit 100 kmh einen Berg hinunter, nicht daran denkend, dass ein Reifenplatzer in der nächsten Kurve das Ende sein könnte. Man fühlt sich quasi unsterblich. (Ich weiß, wovon ich spreche). Sensible Zeitgenossen und -Genossinnen halten den Gedanken an das unausweichliche Ende nicht aus und bringen sich um, gerade WEIL sie paradoxerweise zuviel Angst vor dem Sterben haben und es nicht ertragen, diesen Gedanken an das bevorstehende eigene Erlöschen Tag für Tag denken zu müssen. Obige Zeilen sind nicht gecopied und gepasted, es sind meine Resultate einer jahrzehntelangen Konfrontation mit dem Thema Sterben, das begann, als ich als Achtjähriger meiner heißgeliebten Oma drei Tage bei ihrem Ableben (auch so ein Euphemismus) zusehen musste. Meine Eltern waren berufstätig und ich allein mit der Großmutter, die nur mehr hin und wieder ein bisschen kotzte (ich hielt ihr dann einen Teller vor den Mund) und wusste, dass es zu Ende ging. Ihr Glück: Sie war sehr religiös und versprach mir mit matter, kaum mehr vernehmlicher dünner Greisinnenstimme, für mich ein gutes Wort einzulegen bei unserem Schöpfer. Tags darauf lag sie im Liegestuhl im sonnigen Garten, verfiel ins Koma, ihr Atem rasselte (heute weiß ich, dass es das Wasser in ihrer Lunge war) und als das Rasseln endete, spürte ich, wie mir Urin meine kurzen Beinchen entlang rann, da sich meine Blase unfreiwillig entleert hatte. Tja, dem folgte ein unfreiwilliger Aufenthalt in einer Dressuranstalt für bigotte Katholiken, ein Internat in der Nähe Wiens, in dem, bedingt durch den fortschreitenden Verwesungsgrad des betagten Lehrkörpers ca. alle zwei Monate ein Todesfall zu beklagen war. Natürlich starben diese Lehrkörper (oder Leerkörper? Weil jetzt ohne Seele) im Stand der Gnade! Das bedeutet, gebeichtet zu haben und die Letzte Ölung empfangen zu haben. Wir hatten es zu büßen: Im Sommer, weil der nun Selige einen Geruch ausströmte, den nur (katholische?) Schmeißfliegen lieben, wir aber drei Stunden um diesen fahlgelblichen Kadaver, dessen Nase spitz hervorstach, herumzustehen hatten, um für ihn zu beten. Im Winter starben diese Allerse(e)ligen natürlich auch! Das hatte den Vorteil des fehlenden Odeurs, gleichzeitig froren wir uns aber in diesen drei Stunden den Arsch ab, in der Kapelle hatte es Minusgrade. Ein für mich bis heute unlösbares Rätsel war die verquaste Erklärung unseres Klassenvorstands: Bruder Thomas versuchte uns einerseits zu erklären, dass alles was wir hienieden erreichen könnten, wäre, ein gottgefälliges Leben zu führen, die Belohnung erfolge dann im Jenseits. Andererseits wurden wir mit Lehrstoff überschüttet, es war immerhin ein Elitegymnasium, da fragte ich mich schon des öfteren, ob, wenn unsere Hauptaufgabe hier auf Erden nur das Hinarbeiten auf einen Platz zur rechten Hand Gottes bestünde, unser ganzes Streben hier auf Erden eigentlich nichtig seie, da es uns zweimonatlich an Hand der Stinkebrüder bewiesen wurde! Da gab`s ja nicht nur Professoren! Nein, da gab es ja auch Handwerker, die das Skapulier trugen. Manche hatten sogar gar nichts gelernt, waren aber als Erzieher tätig. Meist waren sie schwul und Sadisten. (Ich glaube, ich habe in "Masern und Mumps" schon darüber berichtet, wie lustig wir es empfanden, als einer dieser Erzieher einen Schüler in der Besenkammer verprügeln wollte, es aber leider, leider, völlig anders zu Ungunsten des Schulbruders, der schon die niederen Weihen abgelegt hatte, endete. Auch als er nach einigen Tagen wieder erschien, war der Blauäugige noch immer blauäugig. Schüler Müller, der sich gewehrt hatte, ging seiner ewigen Seligkeit verlustig und wurde noch selbigen Tages relegiert. Ciao, amici! Hans Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Venomenon Geschrieben 8. Februar 2013 Teilen Geschrieben 8. Februar 2013 Lieber Hans, gestern nachdem ich vom Installateur einen niederschmeternden Kostenvoranschlag erhalten hatte, stieß ich auf deine Geschichten hier, und habe sie alle gelesen und damit sehr nette Stunden erlebt heut Nacht. Ein riesen danke dafür, das du es schaffst uns mit deinen erlebten zu unterhalten und eine nette Zeit zu verschaffen. Mach weiter so, dein treuer Leser Johannes Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
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