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Projekt Punta Gnifetti

Was macht man mit ein paar Tagen Zeit, zwei guten Freunden und einer fixen Idee? Zum Beispiel eine Tour vom Aostatal ins ewige Eis - und retour.
Text: Johannes Pistrol Fotos: A.Altendorfer, J. Pistrol

Die Suche nach der längsten, sinnvoll machbaren Abfahrt in den Alpen führte Johannes Pistrol und seine Freunde Birgit Noha und Andreas Altendorfer ins Monte Rosa Massiv im Grenzgebiet von Italien und der Schweiz. Das Ziel: die Signalkuppel (4.554 m) samt der Capanna Regina Margherita, Europas höchstgelegene Hütte.
Hier erzählt der 24-jährige Mödlinger von seinem fünftägigen Trip in die Walliser Alpen. In Ausgabe 3/2011 von BIKE Österreich (erhältlich ab 11.01.) gibt's einen weiteren Bericht samt Interview. Der Film zur Tour wird in Kürze auf www.bikewithpassion.com bzw. www.amotion.at präsentiert, einen Trailer gibt's hier.

Endlich geht es los! So lange schon dauerte die Planungs- und Vorbereitungsphase, dass der Start zu unserer Monte Rosa Tour nun fast unwirklich erscheint. Wir verlassen den Talort Gressoney la Trinite im italienischen Lys-Tal und mit ihm alle Annehmlichkeiten unseres Appartements auf sauerstoffreichen 1.800 Metern.
Wir, das sind Birgit Noha, selbst begeisterte Bikerin, aber diesmal mit Skiern unterwegs, um mich am Gletscher zu sichern; Andi Altendorfer, Filmer, Fotograf und bergsteigerischer Leiter dieser Unternehmung; und schließlich ich, Johannes Pistrol, der ich mein Rad auf über 4.500 Meter bringen will, um über Gletscher und anspruchsvolle Trails wieder ins Tal abzufahren.
Das Wetter ist gut und die Motivation groß. Wir kommen schnell voran und finden sogar Zeit, schon jetzt den untersten Teil der Abfahrt zu filmen. Am späten Nachmittag erreichen wir das heutige Tagesziel, das Rifugio Guglielmina auf 2.800 m.

  • Projekt Punta GnifettiProjekt Punta Gnifetti
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Beim Frühstück macht sich etwas Ernüchterung breit. Der Blick hinaus offenbart Nieselregen. Nachdem die geplante Tagesetappe aber in ein paar Stunden machbar sein sollte, ist alles halb so schlimm. Wir wollen zum 850 Meter höher gelegenen Rifugio Gnifetti. Es soll uns als Basislager dienen, von dem aus wir dann in die Welt der Viertausender vorstoßen.
Die ersten Meter führen über einen Forstweg. Gerne nutze ich die Gelegenheit, mich pedalierend fortzubewegen. Kurz darauf ist damit ohnehin Schluss. Ab der Abzweigung zum Stolemberg heißt’s tragen. Über einen steilen Weg geht’s aper, aber ob des mittlerweile abgeklungenen Regens feucht-rutschig mit dem Rad auf den Schultern bergan. Wie erreichen die Seitenmoränen des Indren-Gletscher – die erste Möglichkeit für eine Schneeprobe!
Schon während der Planung der Tour waren wir uns bewusst, dass die gesamte Unternehmung an der Schneekonsistenz scheitern könnte. Ist es zu kalt und damit eisig, ist man ohne Spikes – auf die ich aus Gewichtsgründen verzichten muss – chancenlos. Ist es zu warm, gibt’s ob des Einsinkens kein Vorwärtskommen. Ich setze den ersten Schritt am Gletscher und … bin erleichtert. Die Decke ist kompakt und gibt kaum nach – perfekt.
Als nächstes macht uns eine aufgrund der Gletscherschmelze entstandene Felsflanke zu schaffen. Sie auf direktem Weg zu überwinden ist, das wird uns bei Beobachtung zweier Italiener die sich soeben damit abmühen klar, für ein mit Skiern, Mountainbike und Kamera bepacktes Trio nicht zu schaffen. Wir entscheiden uns für einen seilversicherten Steig um die Flanke herum.
Mein Rad muss ich von den Schultern nehmen; das schmale Sims erlaubt die angenehmste Art des Tragens nicht mehr. Mit dem Bike in der Linken und dem Fixseil in der Rechten taste ich mich, an die Felswand gepresst, vorwärts. Wolken und Nässe erhöhen das Sicherheitsgefühl nicht wesentlich. Nach Absolvierung dieser Prüfung folgt fröhliches Markierungssuchen im Steinhaufen, ehe eine knappe Stunde später endlich unser Quartier für die Nacht sichtbar wird.

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Die Gnifetti Hütte ist groß und gut besucht. Zahlreiche Bergsteiger aus verschiedensten Nationen nutzen die auf 3.647 m gelegene Bleibe als Ausgangspunkt für Hochtouren im Monte Rosa Massiv. Die Zimmer und Lager sind schlicht und schon ziemlich abgenutzt; die Sanitäranlagen nur spärlich vorhanden und die Toiletten so ekelhaft wie der Blick aus deren Fenster einzigartig: Er zeigt die beeindruckende Spaltenzone des Lys-Gletschers.
Sozusagen als Generalprobe wollen wir morgen zur Vincent Pyramide aufsteigen. Rund 600 Höhenmeter sind dafür zu absolvieren – und die Spaltenzone zweimal zu queren. Deshalb gehen wir bei einer abendlichen Besprechung auch unser Verhalten im Falle eines Spaltensturzes nochmal durch.

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Wir starten frühmorgens nach einem schnellen Frühstück. Seil, Klettergurte, Steig- und Harscheisen, Felle – endlich ist das ganze schwere Equipment in Verwendung.
Über die Stabilität der Schneebrücken brauchen wir uns ob der pickelharten, gut ausgetretenen Spur kaum Sorgen zu machen. Dennoch setze ich meine Schritte vor allem in der Nähe von Spalten mit Bedacht. Der Blick in riesige Hohlräume, die sich unter mancher Spalte auftun, hält den ohnehin schnellen Puls auf hohem Niveau.
Mit Nachdruck setze ich im steiler werdenden Gelände die Frontzacken meiner Steigeisen ein. Trotz unserer Zusatzausrüstung können wir mit den übrigen Seilschaften Schritt halten und erreichen bald die Abzweigung zur Vincent Pyramide. Die Sonne taucht auf und es wird spürbar wärmer. Erstmals steht eine Vier an vorderster Stelle des Höhenmeters und motiviert uns zusätzlich.
Nach einem letzten Steilstück wird es flacher, und kurz darauf geht es in alle Richtungen bergab. Wir sind am höchsten Punkt angelangt und stehen auf der 4.215 m hohen Vincent Pyramide.

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Der Freude über den Gipfelsieg folgen Bedenken, die Abfahrt betreffend. Die letzte Steilstufe war wirklich nicht ohne. Per Bike sind Hangquerungen auf Schnee und Eis denkbar ungünstig. Die Falllinie ist im Zweifelsfall die einfachere. Aber reicht der Grip für eine kontrolliertes Bergab?
Ich mache die Probe aufs Exempel, und siehe da: Es klappt problemlos. Rasch verfliegt die Nervosität der ersten Meter. Spielerisch drücke ich mein Bike in die Kurven und steigere freudig meine Geschwindigkeit.
Schon bald sind wir wieder auf der Hauptroute. Nach wie vor befinden sich zahlreiche Seilschaften im Aufstieg und trauen ganz offensichtlich ihren Augen nicht. Schon bergwärts war die Verwunderung bei unserem Anblick groß gewesen. Als uns die Bergsteiger aber nun talwärts flitzen sehen, ist das Erstaunen noch viel größer. Speziell die Italiener sind begeistert, fotografieren und stellen interessierte Fragen.
Nach einigen Abfahrtsmetern mehr befinden wir uns wieder mitten in der Spaltenzone. Jedesmal, wenn ich auf einer Schneebrücke eine Spalte quere, öffne ich beide Bremsen und versuche, schnell und möglichst ohne Druckausübung drüber zu fahren. Nachdem die Spalten nahe der Capanna Gnifetti zahlreich und meine Bremsen demnach meist geöffnet sind, erreichen wir schon am frühen Nachmittag wieder die Hütte.
Der erste Gipfel wäre also geschafft. Die Erleichterung ist groß, die Stimmung gelöst. So zeitig sind kaum Bergsteiger im Rifugio. Wir nutzen die Gelegenheit für Körperpflege und um uns in aller Ruhe für den großen Tag vorzubereiten.

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Die Nacht verläuft für mich erfreulich erholsam. Mein Körper gewöhnt sich mehr und mehr an die große Höhe. Um halb fünf klettern wir aus den Betten und sind im Nu abmarschbereit.
Es ist wolkenlos, kühl, aber windstill. Zu unserer Linken steht das markante Montblanc Massiv mit seinen steilen Flanken, das im Licht der aufgehenden Sonne mit roter Glut zu brennen scheint. Wortlos beginnen wir unseren Aufstieg. Rund 1.000 Höhenmeter liegen zwischen uns und unserem Wunschziel, der Capanna Regina Margherita auf der Punta Gnifetti.
Die ersten 600 Höhenmeter sind – nach Überwindung der Spaltenzone – eher eintönig. Über den Lys-Gletscher führt die Route in wechselnden Steigungen bergan. Ein Abschätzen der bereits zurückgelegten oder noch bevorstehenden Distanz ist fast unmöglich.
Endlich erreichen wir den Colle del Lys, von wo aus erstmals die Punta Gnifetti zu sehen ist. Das Gros der Höhenmeter haben wir geschafft. Aber es fehlen noch erschreckend viele Längenmeter bis zu unserem Ziel.
Auf den folgenden Flachstücken geht es dank Skiern und Fahrrad flott voran, und allmählich wird der Blick auf die imposanten Berge rund um Zermatt frei – allen voran natürlich das Matterhorn. Inzwischen ist auch die große Höhe, in der wir uns befinden, deutlich spürbar. Wiederholt bleiben wir kurz stehen, um zu verschnaufen und zu staunen.
Dann der Gipfelhang. In die steile Eisflanke ist ein schmaler Steig gehauen, der sich in drei engen Kehren empor windet. Es haben kaum zwei Füße nebeneinander Platz, zudem pfeift uns ein kräftiger Wind um die Ohren. Mein geschultertes Rad wirkt darin wie ein Segel und ich muss zusehen, nicht weggeblasen zu werden. Beinahe geduckt steige ich die letzten Meter empor und dann endlich, nach fünf Stunden Aufstieg, erhebt sich die Capanna Regina Margherita vor mir.

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Wir haben es geschafft. An einem fast wolkenlosen Juli-Tag stehen wir am Gipfel der Punta Gnifetti auf 4.554 m. Wie sehr habe ich diesen Moment in den letzten Monaten und Tagen herbeigesehnt!
Ich nehme mein Bike von den Schultern und stelle es vor dem höchstgelegenen Gebäude Europas ab. Blechverkleidete Schuhschachtel wird die Hütte ob ihrer eigenwilligen Architektur in manchem Bergführer genannt. Müde und glücklich setzen wir uns auf dem Balkon, unter dem die Monte Rosa Ostwand fast senkrecht in die Tiefe fällt. Bevor ich uns ins Hüttenbuch eintrage, gönne ich mir eine Dose Cola um wohlfeile 6,50 Euro. Es geht nichts über einen anständigen Zuckerschub, zumal, wenn er von einem Hubschrauber eingeflogen werden muss.

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Ehe wir in die Abfahrt starten, machen wir noch Film- und Foto-Aufnahmen und ich versuche, die Eindrücke und das überwältigende Panorama aufzusaugen, um es noch viele Male vor meinem geistigen Auge abspielen zu können.
Birgit macht den Anfang mit ein paar gekonnten Schwüngen. Der Gletscher ist auf den oberen 400 Höhenmetern sehr fest und spaltenfrei. So können wir zunächst ohne Seil abfahren. Vor der atemberaubenden Kulisse von Matterhorn und Co. brause ich Richtung Tal. Die Bergsteiger, die mir entgegen stapfen, staunen nicht schlecht über den seltsamen Gast. Ich werde so oft fotografiert wie noch auf keinem anderen Berg.
Am Colle del Lys hängen wir uns mit dem Sicherungsseil wieder zusammen. Hier nimmt die Spaltengefahr stetig zu, und auch der Schnee ist deutlich weicher. Birgit hat alle Hände voll zu tun, die ständigen Tempowechsel, die ich untergrundbedingt produziere, mit den Skiern auszugleichen.
Über die Ausläufer des Lys-Gletschers fahren wir zum Rifugio Mantova ab. Was bin ich froh, dort endlich wieder harten Fels unter den Stollen zu haben! Für eine Weile trennen sich hier unsere Wege. Birgit und Andi werden von der Punta Indren mit der Seilschwebebahn ins Tal fahren, um die Ski und schwere Video-Ausrüstung nicht schleppen zu müssen. Mir hingegen stehen noch gut 1.700 m Downhill bevor.

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Anfangs ist kaum ein Weg erkennbar. Über riesige Gesteinsbrocken bahne ich mir irgendwie einen Weg Richtung Tal. Fahrbare Passagen wechseln mit kurzen Kletterpartien, und ich wundere mich, woher ich plötzlich die Kraft für diese Kraxlerei von Stein zu Stein habe. Schließlich werden die Felsblöcke kleiner. Mit viel Fantasie kann man einen Weg ausmachen und vereinzelt finde ich sogar Markierungen. Nach ca. 300 Höhenmetern wird der Steig durchgehend fahrbar: schmal, verspielt und immer wieder mit technischen Herausforderungen gespickt.
Fast wie in Trance fahre ich den menschenleeren Trail, beobachte, wie sich die Gesteinsarten verändern und die Vegetation immer mehr Fuß fasst. Der Soundtrack zu meiner einsamen Fahrt ist das Abrollgeräusch meiner Reifen, gemixt mit gelegentlichen Einlagen meiner Bremsen. Ich verordne mir selbst eine Pause, um der schwindenden Konzentration entgegen zu wirken. Nach dem ich-weiß-nicht-wievielten Müsliriegel geht es die letzten 500 flowigen Höhenmeter bergab.
Kurz vor 19 Uhr komme ich nach über 2.700 Höhenmetern Abfahrt todmüde in unserem Quartier in Gressoney la Trinite an. Die erste Dusche nach vier Tagen am Berg fühlt sich sensationell an und ist auch bitter nötig.

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Tags darauf fahre ich durch Bergdörfer, über Steinbrücken und durch saftige grüne Landschaften aus dem Lys-Tal hinaus nach Pont Saint Martin. Dort, auf 345 m Höhe, beende ich die mit insgesamt 4.209 Tiefenmetern wahrscheinlich längste Abfahrt der Alpen, die per Fahrrad möglich ist. Mit einem Cappuccino stoße ich mit Birgit und Andi auf das geglückte Projekt an, ehe wir uns auf die weite Heimreise machen.

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Der weiße Wahnsinn :toll:

Gratulation zu dem gelungenem Projekt und ebenso danke für das Festhalten der einzigartigen Momente.

 

 

@angstbremser: "Chapeau, chapeau" hab ich schon mal zusammen mit der Birgit von jemand im Wald gehört - Kammersteinerhütte bei Schnee - das bist/warst nicht zufällig Du ;)

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