3-Länder Enduro Trails: im MTB-Paradies Reschenpass

Überraschend warm umspült das Wasser meine Haut. Meine müden, schweren Glieder werden angenehm leicht. Fast wie von selbst schweben sie Richtung Wasseroberfläche, während ich meinen Kopf auf das Nackenpolster bette. Weich blubbert mir das Jacuzzi die typische Melodie der Entspannung ins Ohr, während ich über den tiefblauen Haidersee hinweg noch einmal Richtung Ortler schaue. Dann schließe ich meine Augen und lasse meine Gedanken treiben.
Genug konzentriert, genug vorausgeschaut, genug gefahren. Jetzt ist Schicht im Schacht.

Warm. Blubber. Weich. Blubber. Leicht. Blubberblubb. Warm. Blubb. Links. Blubb. Rechts. Blubb. Welle. Blu-ubb. Weich. Blubber. Links. Welle. Rechts. Blubb. Double. Blubb blubb. Rechts.

Warm war's dort, im flechtenbehangenen, preiselbeerumwölkten Zirbenwald unterhalb der Kabinenbahn Piz-Schöneben, angenehm warm. Weich schien auf dem unlängst eröffneten Flowtrail im Gebiet der 3 Länder Enduro Trails jede einzelne Kurve, jede Welle, jeder kleine Jump.
Glatt war seine Oberfläche, von oben bis unten frei von Steinen, Wurzeln, Geröll - eine Seltenheit im Naturtrail-Mekka am Reschenpass. Außerdem unglaublich griffig und fest. Jene Kurven, in denen loser Schotter für ungewollte Rutschpartien sorgen kann, waren an einer Hand abzuzählen. Und das will etwas heißen, bei insgesamt gefühlt 7.253 Richtungswechseln, die Mastermind Stefan Falkeis eingeplant hat.
All das und mehr - sein nur geringes Gefälle, sein verspielter Verlauf, seine vorbildliche Einebnung - macht den Piz Trail leicht. Weil er aber mehrmals den deutlich schwierigeren Schöneben Trail kreuzt, ermöglicht er gleichzeitig, sich Schritt für Schritt und Abschnitt für Abschnitt an größere, diesfalls wurzelig-stufige Herausforderungen heranzutasten.

Im Vorjahr als Schöneben Flow Trail aus der Taufe gehoben, wurde die nunmehr 590 Höhenmeter umfassende Kurvenorgie heuer um nochmals zwei auf insgesamt sieben Kilometer verlängert und zwecks besserer Unterscheidung vom Schöneben Trail in Piz Trail umbenannt. Als einziger grüner, also mit S0 sehr einfach klassifizierter Trail auf der Westseite des länderübergreifenden Streckennetzes zwischen Reschen/St. Valentin in Südtirol und Nauders in Österreich bereichert er nun das - nomen est omen - endurolastige, technisch anspruchsvolle Angebot.

Zu schätzen wissen das vor allem jene, die verminderter fahrtechnischer Anforderungen bedürfen: Die Familie mit den beiden in voller Montur angerückten 6- und 8-jährigen Burschen. Die zwei erwachsenen Freundinnen, welche sich neugierig erstmals an "sowas" versuchen. Die Gruppe älterer E-Biker, denen mit ihren Cross-Bikes offensichtlich der Sinn nach einem kleinen Abenteuer steht.
Aber auch versierteren Vertretern des MTB-Sports kommt der Newcomer entgegen: um an ihrer Kurventechnik zu feilen, sich an ersten Sprüngen zu versuchen, zwischen all den Rüttel-Schüttel-Pisten mal etwas Sanftes, Liebliches einzustreuen, oder sich für die Highlights der Region an der Via Claudia Augusta - dem historischen Handelsweg, der einst das Römische Reich mit dem heutigen Augsburg verband - warmzufahren.

Was das Aufwärmen und Einfahren betrifft, waren wir weniger schlau. Im wunderbaren Hotel Ortlerspitz im italienischen St. Valentin untergebracht, führte unser erster Weg natürlich schnurstracks zur dortigen Haideralmbahn, und von deren Bergstation direkt auf den Plattweg Trail. Anders als die meisten 3 Länder-Trails stürzt der sich nicht kompromisslos talwärts, sondern zieht sich lediglich sanft abfallend über die Westflanke von Platschwerdakopf, Elferspitze und Zwölferkopf.
Als "unvergesslich" tituliert die offizielle Wegbeschreibung der örtlichen Tourismusverbände den schmalen, 2,3 km langen Pfad der Kategorie S2. Und tatsächlich wird mir unser Einstieg ins Trail-Paradies in reger Erinnerung bleiben. Der relativ einsame und landschaftlich grandiose Plattweg ist an seiner Oberfläche nämlich alles andere als platt. Verblockt und immer wieder mit Flachpassagen, ja, sogar Gegenanstiegen gewürzt, heißt's hier beständig pushen, lupfen, Schwung mitnehmen, um die zahllosen Hindernisse aus Wurzelholz und Felsgestein halbwegs flüssig zu bewältigen. Und das auf 2.000 m Seehöhe!
Das Herz raste, die Lunge hechelte, die Beine brannten. Mein Flachlandkörper ächzte.

Der anschließende Untere Spin Trail (1 km/107 Hm) zeigte sich nur geringfügig milder. Aber immerhin erreichten wir über diesen Verbinder allmählich wieder sauerstoffhältigere Höhenlagen. Das machte die permanent zwischen Wurzelstöcken und Felspassagen, kleinen Sumpflöchern und kurzen Holzbrückerln wechselnde Sache einfacher.
Der 1,2 km messende Gorf Trail spuckte uns schließlich nach weiteren 150 Tiefenmetern und schönem Ortlerblick am Uferradweg des Reschensees aus. Über diese feudal breite, perfekt markierte Piste zur Talstation Schöneben strampelnd, entledigten wir uns allmählich der ersten Überdosis Adrenalin und ja, tatsächlich auch Laktat.
Was für ein Auftakt, welch Einstieg ins Endurobiken nach einem Herbst, Winter und Frühling voll niederösterreichischer Beschaulichkeit!

Kollege Lukas hat das Bedienungspaneel des Jacuzzi entdeckt. Ganz Techniker, drückt er sofort darauf herum. Das Blubbern wird etwas kräftiger, die zur Oberfläche drängenden Luftblasen geraten eine Spur größer. Zu den einzeln aufspritzenden Wassertropfen, die je nach Blickrichtung entweder den Garten des Hotel Ortlerspitz oder aber dessen namensgebenden, noch tief verschneiten Bergriesen widerspiegeln, gesellt sich der wohltuende Druck von Wasserdüsen, die uns sanft, fast unmerklich, den Rücken massieren.
"Lustig: Von allem ein bisschen mehr, wie drüben am Hofratstrail", schießt es mir durch den Kopf.
Wobei das natürlich so nicht stimmt. Weil: Mehr Kurven als am Piz Trail geht nicht - echt nicht. Dafür aber mehr Gefälle, mehr Tables, mehr Bodenunebenheiten und auch mehr Blicke übers Land.

5,5 Kilometer lang schlängelt sich die zweite, große Neuheit für Fans des einfacheren Trail-Vergnügens von der Bergkastel-Station bergab.
Wir sind nunmehr also auf der anderen Seite der 3 Länder Enduro Trails - im doppelten Sinn: einerseits auf Tiroler statt wie bisher Vinschgauer Boden; und andererseits auf der Ost- statt Westseite des Reschenpasses. Dort, wo nicht nur oben am Berg in der frisch ausgebauten Erlebniswelt Goldwasser ein superleichter Übungsparcours mit Förderband und unten im Tal ein ebenfalls jüngst adaptierter Pumptrack auf die Allerkleinsten wartet. Sondern auch eine nigelnagelneue Bag-Jump Area direkt bei Billy's Lounge, auf deren zwei verschieden hohen Startrampen und Kickern samt luftgefüllten Landungskissen vor allem die Kids mit Freude und Feuereifer ihre ersten Tricks und Sprünge üben.
Wer sich bei alledem übrigens fragt, worin denn abgesehen von den paar Metern Trailanteil zwischen Grüner und Schwarzer See der eidgenössische Anteil am 3-Länder-Projekt liegt: "Von den Schweizern nehmen wir die Franken, die Uhren und die Genauigkeit", scherzt Tourismuschef Burger über das einzigartige Zusammentreffen von Griaß enk, Ciao und Grüezi wohl. Nota bene: Der Mann darf das, er hat gerade seinen Cousin aus Zürich zu Gast ...

Dass es mit dem als blauen S1 eingestuften Hofratstrail nunmehr eine anfängertaugliche Möglichkeit gibt, zwischen der Berg- und Talstation der Bergkastelbahn auf und ab zu gondeln, freut nicht nur jene, denen der Weg über die Stieralm plus Forststraße zu unergiebig oder der durchwegs knackige Bergkastel Trail zu schwer war.
In Zeiten später Schneefälle dient die kurzweilige, spaßig angelegte Reise durch Zirbenwälder, offene Wiesen und Preiselbeerhaine auch als adäquater Ersatz für den beliebten Zirm Trail, liegt dessen Startpunkt auf 2.500 m Seehöhe doch zu Saisonbeginn mitunter noch unter meterhohem Weiß.

Zugegeben: So panoramareich wie die 2020 eröffnete Hochschaubahn, mit der am Reschen alles in Sachen "einsteigerfreundlich" begann, ist der Hofratstrail nicht. Aber auch er wartet mit zahllosen Rollern, kleinen Tables und einigen Steinfeldern auf. Auch er bringt mit wiederkehrenden Ausblicken und einem kleinen Wallride Abwechslung ins Geschehen, und auch er bietet schnelleren Fahrern jede Menge Optionen für Doubles und weitere Jumps.
Dazwischen ist der Neue stellenweise noch fast jungfräulich rutschig, weil so frisch durchs Geröll gezogen und kaum ausgefahren. Letzteres wird sich aber, da wagen wir ob des Fun-Faktors dieser jüngsten Reschenpass-Errungenschaft jede Wette, rasch ändern ...

Wer kennt nicht die ikonischen Bilder von der berühmten Felsnase, die solitär aus der flachen Wiesenkuppe ragt, Reschen- und Haidersee überblickend, König Ortler kontrastierend? Wer könnte sich, umgeben von den mystischen Wiesen des Hochmoores, welches man über den flachen, einfachen Plamort Trail Tritt für Tritt und im Schlussteil neuerdings auf einem bequemen Holzsteg erobert, den Reizen dieser einzigartigen Gebirgslandschaft entziehen?
Wer würde angesichts der brachialen, spitzkegeligen Panzersperren und düsteren Bunkeranlagen von Mussolinis Vallo Alpino nicht heilfroh sein, dass zumindest hier die früheren Kriege und Bedrohungsszenarien von kultureller Bereicherung und gegenseitiger Befruchtung abgelöst wurden?
Wer müsste nicht staunen angesichts der bunt gemischten Schar an Bergfreunden, die sich am Plamortboden tummelt: protektorenbewehrte Enduristen, arglose Familien mit Kindern, schwer bepackte Alpencrosser, Wanderer jeden Alters, E-Biker aller Art, Trailrunner, Gravelbiker? Einzig die Rennradfahrer, dank naher Highlights wie dem Stilfserjoch in der Gegend ebenfalls regelmäßig zu sehen, fehlen da heroben.
Und käme irgendjemand umhin, das 360°-Panorama nicht auch nach all den Aufstiegshilfen und Trails abzusuchen, welche der Reschenpass in annähernd kreisrunder Anordnung bietet? Wohl kaum. Ganz zu schweigen davon, dass kurz unterhalb des Felsens der Bunker Trail beginnt – einer der ersten Naturtrails der 2015 eröffneten und mittlerweile auf stolze 30 Lines und 60 Kilometer angewachsene Enduro-Region; und mit seiner facettenreichen, von oben bis unten anspruchsvollen Mischung aus heftigen Felssektionen, deftigen Wurzelpassagen, trocken-sandiger Erde, engen Waldabschnitten und -kurven auch einer der charakteristischsten.

Luki hat Stufe 3 gefunden. Brodelnd und bullernd, sprudelnd und brausend legt das Jacuzzi los. Fast so unvermittelt wie der 1,2 km lange Bunker Trail, dessen erste Schlüsselstelle nur wenige Augenblicke nach dem Einstieg lauert.
Das schäumende Wasser und die wild übereinanderliegenden Steinbrocken; die schlagende Kette und die blank polierten Wurzeln; der sprühende Nebel und der aufgewirbelte Staub. All das hat plötzlich irgendwie Ähnlichkeit. Und so unerbittlich mich der kräftige Wasserstrahl in meinem Rücken 'gen Beckenmitte schiebt, so unaufhaltsam schüttelt's und rüttelt's einen am Bunker Trail knapp 300 Höhenmeter nach unten, bis man schließlich an seinem Ende ermattet auf die Bänke und Stühle des Restaurants Mein Dörfl direkt am Reschensee sinkt.

Apropos Reschensee: Der ist weg. Zwar nur vorübergehend, aber doch. Wo normalerweise türkisblaues Wasser für das letzte Quäntchen Kulissenkitsch sorgt, herrscht nun braun-beige Ebbe, durch die sich wie in einer hoffnungslos überdimensionierten Sandkiste eine Armada an Baggern und Kippern wühlt. Einzig der berühmte Kirchturm von Alt-Graun steht noch mit einem Fuß im 1950 so rücksichtslos und für die ehemaligen Bewohner des Dorfes traumatisch aufgestauten Nass.
Schuld sind aber nicht etwa Trockenheit und Klimawandel. Oder doch. „Die Straße wird ein ganzes Stück Richtung See verlegt“, erklärte uns Tourismus-Chef Gerald Burger, „weil der Berg, durch den die Galerie verläuft, zusammenbricht.“ 20 Millionen kostet das Megaprojekt, an dessen Ende auch ein Radweg und ein Fußweg neu auf jetzigem Seegrund trassiert sein werden. Bis es fertig ist, müssen die Segler fallweise pausieren und die Kitesurfer kleinere Brötchen backen. Aber bei täglich 15 bis 20 cm steigendem Pegelstand ist Mussolinis zweites bauliches Vermächtnis am Reschen neben dem Alpenwall wohl bis Jahresende wieder zu zwei Dritteln gefüllt.

Lukas hat ausgeschaltet und ist schon mal vorausgegangen, um sich für unser dreiländereckwürdiges 5-Gang-Abendmenü fertig zu machen. Nach dem anfänglichen Salatbuffet erwartet uns hauchzartes Carpaccio vom Rind mit Parmesan Espuma, Schüttelbrot und Rauke; dann hausgemachte Maltagliati Nudeln mit Basilikum, Pinienkernen und Stracciatella; anschließend mürbestes Kalbssteak auf Selleriepüree, Mangold und Majoranjus, gefolgt von raffiniertem, geeisten Kaiserschmarrn mit Preiselbeeren, alternativ Brugger Alm Käse mit Tomaten Chutney.
Ich hingegen lasse mich noch ein wenig treiben, lausche dem Vogelzwitschern und zwinkere König Ortler ein letztes Mal zu. Im Outdoor-Whirlpool unseres Hotels ist's still geworden. Still wie am Mutzkopf, wenn man mit einer der letzten Fahrten des dortigen Sessellifts bergwärts schwebt.

Die alte Anlage am südlichsten Ausleger der 3 Länder Enduro Trails in Nauders wirkt mit ihrem knapp bemessenen Einstieg, rohen Gestänge und ihren nur rudimentär gepolsterten Doppelsitzen ein wenig aus der Zeit gefallen. Aber sie brachte uns nach oben wie einen Vogel, der den Auftrieb nützt: Mühelos, leise, ohne eigenes Zutun ganz knapp über die Baumwipfel gleitend.
Runter ging's über je ein Stück Kreuzmoos Trail (1,5 km/200 Hm), Gerry Trail (1,2 km/150 Hm) und schließlich den Transfer zur Bergkastel-Bahn durch "d'Höll" nicht ganz so sanft und meditativ - im Gegenteil. Vor allem letzterer entpuppte sich auf der schwarzen Variante aufgrund unzähliger, steiler und immer knapper aufeinander folgender Stufen als wahre stairway to hell. Ein würdiges Finale, wenn man noch halbwegs bei Kräften und Konzentration ist!

Übrigens ist kaum ein Weg des ursprünglichen Enduro-Netzes in den letzten Jahren einfacher geworden, die meisten präsentieren sich immer ausgefahrener.
So auch die S2-Kombi runter zum Riatschhof. "Ich habe keine Ahnung, was an dieser Stelle rot sein soll", kommentierte Lukas belustigt eine absurd verschlungene Wurzelpassage, deren Ideallinie uns auch nach eingehender Besichtigung verschlossen blieb. Aber immerhin: Die kniffligsten Stellen des Gerry Trail haben einfachere Umfahrungen, und generell wird auch für die Südseite des Mutzkopf mit der Errichtung einer leichteren Abfahrtsvariante geliebäugelt.

Denn am Reschen sind viele Skikeller mittlerweile zu Bikegaragen umgebaut, die Söhne der anfangs vielleicht skeptischen Hoteliers, Förster und Jäger beim jährlichen Enduro-Rennen am Start, sämtliche Hütten auch im Sommer geöffnet, die früheren Mittagspausen der Lifte Geschichte. Von rund tausend Fahrten allein am Samstag des Fronleichnams-Wochenendes (davon etwa ¾ inklusive Bike-Transport) berichtete der Liftwart, welcher an der Mutzkopf-Bergstation mit beeindruckender Geschicklichkeit und Kraft die teils elendig schweren Fahrräder vom Haken nimmt.
Kurzum: Am Reschen ist der moderne MTB-Sport als touristisches Erfolgsmodell endgültig angekommen und wird auch in Zukunft weiter ausgebaut - vorerst vorrangig weiter in Richtung einsteigerfreundlich und familientauglich. Blubb.