
Pasculli Tomarlo: Rad nach Maß
27.05.14 07:37 48.4212014-05-27T07:37:00+00:00Text: Reini HörmannFotos: Erwin HaidenFrüher war ein "Rad nach Maß" fast ausschließlich professionellen Radsportlern vorbehalten. Heute ist es umgekehrt: Kaum ein Profi kann sich aussuchen, was er fährt. Wir Konsumenten hingegen können kaufen und fahren, was wir wollen. Auch Räder, die nicht nur "wie", sondern tatsächlich "nur" für uns gemacht sind.27.05.14 07:37 48.4372014-05-27T07:37:00+00:00Pasculli Tomarlo: Rad nach Maß
27.05.14 07:37 48.4372014-05-27T07:37:00+00:0089 Kommentare Reini Hörmann Erwin HaidenFrüher war ein "Rad nach Maß" fast ausschließlich professionellen Radsportlern vorbehalten. Heute ist es umgekehrt: Kaum ein Profi kann sich aussuchen, was er fährt. Wir Konsumenten hingegen können kaufen und fahren, was wir wollen. Auch Räder, die nicht nur "wie", sondern tatsächlich "nur" für uns gemacht sind.27.05.14 07:37 48.4372014-05-27T07:37:00+00:00Stellt sich die Frage, warum man ein solches Rad überhaupt haben will? Schließlich gibt es Unmengen wirklich hervorragender Räder, die mehrmals getestet und umfassend erprobt sind. Meist günstiger, in ausreichend großer Stückzahl hergestellt und technisch auf dem letzten Stand der Dinge. Oftmals auch mit einer Möglichkeit zur Individualisierung trotz Massenfertigung. Das zugehörige Schlagwort, das man immer häufiger von Produktdesignern hört: „Custom Made“.
Reini Hörmann, Bikeboard.at Redakteur
Natürlich ist ein Rad mit eigenem Design auch ein Einzelstück, selbstverständlich kann durch diverse Änderungen der Komponenten und der Laufräder ein Rad sehr gut an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden. Aber Custom made ist eben nicht ganz das gleiche wie maßgefertigt.
Ich selbst wollte ein Rad, dass nach genauer Vermessung nur für einen einzigen Menschen auf der Welt gebaut wird: für mich. Vielleicht wurde die Sehnsucht nach Bestätigung durch Rennerfolge von der Sehnsucht abgelöst, etwas Besonderes zu besitzen. Etwas, das einen abgrenzt von der großen Herde. Vielleicht ist es aber auch nur Wichtigtuerei.
Aber, sag ich, Radsport ist für mich mehr, als nur mein Training oder Fitnessprogramm abzuspulen. Radsport war immer ein wichtiger Teil meines Lebens, inzwischen ist Radsport für mich auch Lebensgefühl. Und wie sollte man sein Lebensgefühl besser ausdrücken als durch Individualität?
Pasculli
An die erste Begegnung mit Julia und Maik von der Berliner Radmanufaktur Pasculli kann ich mich noch gut erinnern. Wir trafen uns bei der Eurobike 2013, an einem Stand, den sie sich - nicht ganz zufällig - mit Power2Max und Citec teilten.
Die beiden erzählten von der beinahe vergessenen Musik des Oboisten Antonio Pasculli, ähnlich der in der Gegenwart fast vergessenen Kunst, hochwertige und exquisite Rennradrahmen per Handarbeit herzustellen. Per Hand geschliffen, per Hand vermessen, verklebt und schlussendlich noch manuell lackiert.
Und sie erzählten von der Möglichkeit, sich Farben und Designs aussuchen zu können, ohne auch nur im geringsten bei der Qualität und den Fahreigenschaften Abstriche machen zu müssen.
Dies klang, trotz meiner anfänglichen Skepsis, doch recht verlockend, und schleichend befiel mich offenbar ein Virus - ein Virus der Begeisterung.
Seit diesem Tag ließ mich der Gedanke nicht mehr los, mir einmal in meinem Leben den Luxus zu leisten, ein eigenes Rad für mich entwerfen und bauen zu lassen. Ein Rad, welches ausschließlich nach meinen Anforderungen produziert wird, per Hand, aus Carbon und dazu noch im heiligen Mutterland des Radsports, in Italien!
Meine Geometrie, meine Steifigkeitswerte, meine Vorstellung von Komfort.
Erste Probefahrt: mit dem Privatrad von Pasculli-Chef Maik Kresse
Nur wenig später schmökerte ich mich durch die Seiten der Pasulli-Homepage, und sofort sprang mir das "Tomarlo" ins Auge. Dieses Modell sollte es werden, das war mir sofort klar.
Es verfügt über eine klassische Rahmenform mit voluminösen Rohren, das Tomarlo ist zwar leicht - wenn auch nicht superleicht-, aber mit diesem Modell können extrem hohe Steifigkeitswerte erreicht werden. Dazu muss wohl gesagt werden, dass für mich Steifigkeit weit vor Komfort kommt, Komfort ist mir in Wahrheit egal.
Das Rahmenset ist ab 2.950 Euro erhältlich, hätte ich also “lediglich” den Rahmen für mich bauen lassen und bereits vorhandene Komponenten umgebaut, wäre der Preis für eine solche Aufwertung wohl sogar unter dem von industriell gefertigten (Top-) Rahmensets gelegen. Aber ich wollte ja aufs Ganze gehen.
Bei einem solchen Finanzvolumen ist es aber ratsam, alles menschnemögliche zu tun, um nicht die Katze im Sack zu bekommen. So verbrachte ich einiges an Zeit, um diverse Suchmaschinen mit Schlagwörtern wie: Pasculli, Tomarlo, Test, Erfahrung usw. zu füttern. Es fanden sich auch einige Einträge, aber wie soll man denn einen Test von einem Rad finden, dass es ja in der Form noch gar nicht gibt?
So nutzte ich wohl recht schamlos meinen Stand als Teilzeittester des Bikeboard-Magazins und fragte bei Pasculli an, vorerst wenig hoffnungsvoll, ob ein Tomarlo-Testrad zur Verfügung stehen würde. Es waren wohl viele Umstände, die danach zusammenspielten; jedenfalls bekam ich - ich konnte es kaum glauben - das Privatrad von Maik Kresse selbst in meine Hände.
Es war schon spät im Jahr, das Wetter begann schlechter zu werden, aber ich wollte mir die Chance keinesfalls entgehen lassen und so nahm ich das Angebot natürlich dankend an. Ich fuhr das Rad ab dann in jeder freien Minute, und obwohl mir Maiks Tomarlo eine Spur zu klein war, war ich vom ersten Aufsitzen an ziemlich angetan - so wie ausschließlich alle, die ich ebenfalls auf dieses Rad ließ, um es anzutesten. Von der Exklusivität, vom Fahrverhalten und auch von der Optik.
Ich wollte es mit weniger Komfort, mit anderem Design, mit viel brutalerer Steifigkeit, aber wie ja schon gesagt: Ich wollte es ...
Vermessung: Bike-Fitting by Christian Bernhard
Mein erster Weg führte mich dann zu Christian Bernhard. Viele der geschätzten Leser werden Christian ohnedies kennen, aber dennoch - er ist für mich der Experte in Sachen Radgeometrie und Sitzposition.
Gemeinsam mit NoPain und den Pasculli Leuten, die extra von Berlin angereist kamen, um Christian kennen zu lernen, machten wir uns an die Eruierung meiner optimalen Rahmengeometrie. Nach umfangreichen Einstellungen an der „Retül Vermessungsstation“ wurden mehrere verschiedene Positionen ausprobiert und auf Video festgehalten. Nach der Auswertung der Daten war schnell klar, wie mein Tomarlo Rahmen auszusehen hatte.
Berechnung: Design, Spezifikation & Geometrie by Pasculli
Eine Woche später machte sich Julia ans Design und schickte mir per Mail mehrere Vorschläge. Ich entschied mich für mattes Carbon (3K Matten) mit weißer Schrift und roten Streifen, recht schlicht für meine Begriffe, denn es sollte keinem Trend folgen. Um ehrlich zu sein, fiel mir die Auswahl der Komponenten danach nicht so leicht, wie ich es mir ursprünglich gedacht hatte.
Vor allem die Frage, ob mechanisch oder DI2 beschäftigte mich länger als gewollt. Schlussendlich, das ist Fakt, war nicht nur meine persönliche Vorliebe für mechanische Schaltungen der Ausschlag für die konventionelle Dura Ace von Shimano, sondern auch das Finanzielle.
Um einiges wichtiger als der Elektroluxus waren mir ob ihrer Steifigkeitswerte die Citec Laufräder (Aero 3000S Carbon) sowie das brandneue Power2Max Type-S. Schlussendlich war ich mit meiner Auswahl sehr zufrieden und der "Enter Button" zur Bestätigung meiner Bestellung wurde gedrückt.
Das erste Mal
Weniger schön als die Vorfreude waren dann die etwa acht Wochen des Wartens. Meine angeborene Ungeduld, gepaart mit dem Umstand, dass das Wetter immer schöner wurde, machte mich ziemlich kribbelig. Als mein Tomarlo dann endlich in einem Karton vor mir stand, war ich so aufgeregt, wie an meinem ersten, bewusst wahrgenommenen Heiligen Abend.
An dieser Stelle möchte ich, um es auch für die weniger leidenschaftlichen Menschen unter uns verständlich zu machen, meinen Trainingspartner Christian Lehner zitieren: "Männer werden sieben Jahre alt, danach wachsen sie nur mehr ..."
Normal bin ich auch kein Freund von zelebriertem "Unboxing", doch selbst die Verpackung war in diesem Moment für mich so wertvoll, dass ich sie nur langsam und schonend vom Inhalt befreite.
Und dann stand es vor mir, mein Tomarlo - so, genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte: schlicht, klassisch, fast fragil anmutend und doch ziemlich muskulös im Rohrdurchmesser. Erst bei strahlendem Sonnenschein und trockener Straße wagte ich mich dann hinaus.
Vermutlich habe ich es schon erwähnt: das Wort "bitte steif" wurde während der Planungsphase von mir recht häufig in den Mund genommen, und so wurde mir durch den ersten Fahreindruck recht nachhaltig bestätigt, dass Maik wusste, was ich damit meinte. Mein Pasculli ist so bocksteif, dass ich Angst um meine Zahnimplantate bekam, aber ich wollte es auch so und ich will es noch immer.
Da ich zuvor das Tomarlo von Maik selbst ausgiebig testen durfte, konnte ich den Unterschied zwischen diesen beiden Rädern fast nicht glauben. Maik‘ s Tomarlo bietet einen schönen Mix aus Komfort am Hinterbau und hoher Steifigkeit, mein Tomarlo bietet enorme Steifigkeit, gepaart mit Steifigkeit. Es war, als wäre es ein völlig anderes Rad, was es in Wahrheit ja auch ist - nicht nur vom Design her.
Mein Pasculli Tomarlo
Spezifikation
Rahmen | Pasculli Tomarlo, TtT-3K ab 750g | Tretlager | BB30 Pressfit |
Größen | custom 56cm | Kurbel | Rotor 3D+ Power2Max Type-S, 172,5 mm |
Steuersatz | 1-1/8” - 1-1/2”, tapered | Kassette | Shimano Dura Ace CS-9000, 12-27 |
Gabel | Pasculli Grammy, 30 mm Spacer | Kette | Shimano Dura Ace CN-9000 |
Vorbau | Deda Zero100 black, 130 mm | Schalthebel | Shimano Dura Ace ST-9000 |
Lenker | Deda Zero100 black, 44 cm | Schaltwerk | Shimano Dura Ace RD-9000 |
Lenkerband | Deda, schwarz | Umwerfer | Shimano Dura Ace FD-9000, Anlöt |
Sattelstütze | Deda Superzero black 31,6 mm | Bremsen | Shimano Dura Ace BR-9000 |
Sattel | Fizik Arione k:ium black | Reifen | Continental GP4000S 700x23C Drahtreifen |
Laufräder | Citec 3000 S Aero Carbon | Schnellspanner | Pasculli light Carbon |
Gewicht | 6,97 kg | Preis* | € 7.843,55 |
* Beratung, Custom-Rahmen, Lackierung, Assemblierung, Versand inkl. Power2Max Type-S
Die relative Leichtigkeit (6,9 kg ohne Pedale) mit dem verwindungssteifen Rahmen macht das Rad zum Landstraßenvergnügen der besonderen Art. Wer behauptet, handgefertigte Tube-to-Tube-Rahmen aus Carbon könnten in puncto Qualität und Fahrverhalten mit industriell hergestellten Rahmen nicht mithalten, der ist herzlich eingeladen, den entsprechenden Beweis in der Praxis anzutreten. Auch im TOUR-Test der leichtesten Räder der Welt schnitt das Pasculli Altissimo sehr gut ab, was mir schon vorab die letzten Zweifel genommen hatte.
Besonders fein ist natürlich der Umstand, dass das Rad passt wie angegossen. Alles andere wäre aber auch eine herbe Enttäuschung gewesen.
Nach nunmehr zwei Monaten der intensiven Nutzung ist meine Begeisterung für dieses Rad nach wie vor ungebrochen, kaum zuvor hat mir Radfahren derart viel Spaß gemacht, nie zuvor bin ich so oft während der Ausfahrt in ein Cafè gegangen, um mich draußen hinzusetzen, nur um mein eigenes Rad anstarren zu können.
Fazit
Pasculli Tomarlo Custom | |
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Modelljahr: | 2014 |
Testdauer: | 5 Monate (beide Räder) |
+ | Rahmenset nach Maß, Design und Komponenten frei wählbar |
+ | Fahreigenschaften nach Wunsch |
+ | hochwertige Handarbeit |
+ | Rahmenset relativ günstig |
o | Komplettrad im oberen Preisbereich |
BB-Urteil: | Einzigartig! |
Sowohl die relativ schlichte Optik als auch die Produktionsart eines solchen Rades werden immer wieder für mehr oder weniger kontroverse Diskussionen unter den Radsportlern sorgen. Für mich persönlich ist mein Tomarlo ein Rad, welches niemals in der Garage, sondern immer im Haus aufbewahrt werden wird. Es ist aber nicht gerade die billigste Variante, zumal ja dann auch die passende Radbekleidung her muss - Rapha anyone?
Pasculli ist es jedenfalls bei diesem Rad perfekt gelungen, meine persönlichen Ansprüche in die Fahreigenschaften des Tomarlo zu integrieren. Auch die Vorgaben des Vermessers wurden auf den Millimeter genau umgesetzt - ich hab es nachgemessen. Das Gefühl, auf einem Rad nach Maß zu sitzen, vermag ich allerdings mit Worten nicht zu beschreiben. Es fühlt sich an, als wäre es für einen selbst gemacht …