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24 h im Hamsterrad

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24.10.17 08:43 39.077Text: Luke Biketalker
Lukas Schnitzer
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Fotos: Luke Biketalker; Manuel Hausdorfer/lime-art (2)
Zwischen Samstag, 14. Oktober 13:00 Uhr und Sonntag, 15. Oktober 13:00 Uhr schraubte Ultra-Radfahrer Christoph Strasser den 24 Stunden Bahnrekord auf beachtliche 941,873 Kilometer - wir waren dabei.24.10.17 08:43 39.189

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24.10.17 08:43 39.18972 Kommentare Luke Biketalker
Lukas Schnitzer
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Luke Biketalker; Manuel Hausdorfer/lime-art (2)
Zwischen Samstag, 14. Oktober 13:00 Uhr und Sonntag, 15. Oktober 13:00 Uhr schraubte Ultra-Radfahrer Christoph Strasser den 24 Stunden Bahnrekord auf beachtliche 941,873 Kilometer - wir waren dabei.24.10.17 08:43 39.189

Kein Tropfen Wasser stürzt vom Himmel, keine Sturmfront peitscht wütend Luftmassen gegen Gesicht und Oberkörper; keine Hitzewelle quält die müden Muskeln und kein Berg stellt sich schier unbezwingbar in den Weg - scheinbar alles gut. Und dennoch die Hölle auf Erden.
Vierundzwanzig Stunden im Velodrom. Vierundzwanzig Stunden Wechsel zwischen Linkskurven und viel zu kurzen Geraden. 3.767 Runden über der Côte d'Azure bleiben, 7.534 Kurven vollste Konzentration. Die Hölle hat vielerlei Gesichter ...
"Wisst's", meldet sich Strasser irgendwann in der Nacht via Funk. "Draußen, beim RAAM oder wo auch immer, da gibt's Tiefs, aber auch Hochphasen. Das hält sich immer irgendwie die Waage. Aber auf der Bahn? Do gibt‘s nur ‚g'schissen' und ‚richtig g'schissen'"...

Einige Stunden zuvor stehen wir im Tissot-Velodrom des Schweizer Örtchens Grenchen, beobachten gebannt die finalen Vorbereitungen des mehrfachen RAAM und RAA Siegers, schnellsten Australien-Durchquerers und 24-h Straßen-Weltrekordhalters Christoph Strasser. Die Uhr zeigt 12:50 Uhr, als ein sichtlich angespannter Steirer noch in Flip-Flops und halb angezogenem Zeitfahranzug mit Entsetzen erkennt, dass nur noch 10 Minuten bis zum Start seines 24-h Bahn Weltrekordversuchs verbleiben. Samstag, 14. Oktober 2017, 13:00 Uhr - der Ultra-Distanz-Spezialist hatte sich vorgenommen, innerhalb des kommenden Tages den 24-h Bahn-Weltrekord eines gewissen Marko Baloh anzugreifen. Der Slowene Baloh schraubte im Jahr 2010 die Bestmarke auf unglaubliche 903 Kilometer. Sieben Jahre später blickt die Radsportwelt gespannt auf den in der Startmaschine eingeklemmten Strasser. Insgesamt 8 Mal war er im Vorfeld seines Rekordversuchs auf der Bahn. Zu wenig, um von einem Bahnfahrer zu sprechen, aber wohl genug, um ein Gefühl für die Eigenheiten und Besonderheiten des Velodroms zu entwickeln. Ein letztes Auslockern, ein freundliches, ob der milden Vorahnung über die Strapazen der kommenden Stunden leicht gequältes Lächeln für die Kamera - dann war Schluss mit Lustig. Die Startmaschine entließ Strasser pünktlich in seine erste Runde. 3768 sollten folgen.

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Der Illusion, dass ein 24-h Rekord für Fahrer und Zuseher auf Dauer sonderlich spannungsgeladen sein würde, gab sich Strasser bereits im Vorfeld nicht hin. Dem damals ebenfalls in Grenchen aufgestellten Stundenweltrekord eines gewissen Jens Vogt konnte er selbst nur 10 Minuten folgen. Entsprechend tüftelte der 34-Jährige gemeinsam mit Sponsor Specialized an einem Plan, dennoch motivierende Stimmung in die Halle zu zaubern. So kam es, dass der Rekordversuch und die Specialized Days Grenchen Zeit und Raum teilen durften. Erst im goldenen Herbst die neuesten Räder testen, dann im Velodrom Zeuge schier unmenschlichen Willens werden - eine Mischung, die aufzugehen schien.

Was rund um, respektive im Innenfeld der Bahn tatsächlich passierte, nahm Straps, wie ihn sein Team nennt, tatsächlich im besten Fall peripher war. Unter dem Zeitfahrhelm ist alles dumpf. Die Musik, die Stimmen der Moderatoren, die Zurufe aus dem Publikum - 24 Stunden akustischer Blindflug, sozusagen. Alles was er wirklich hören konnte, war der Sound des MP3-Players im einen, der Funk seines Teams im anderen Ohr. So spulte er die ersten Stunden in beeindruckender Manier ab. In perfekter, so gut wie nie verlassenen Aeroposition, mit um die 260 Watt am Pedal und vom Team perfekt umsorgt, wuchs sein Vorsprung auf den virtuellen Baloh konstant. Obwohl, so virtuell war Baloh nicht. Im Gegenteil, der (beim Tippen dieser Zeilen ehemalige) Rekordinhaber zeigte sich sogar äußerst real. Als Offizielle des UMCA wachten Marko Baloh, dessen Frau Irma und die italienische Rekordhalterin Anna Mai über den korrekten Ablauf des Rekords.

  • Ob Bahn- oder Straßenrad stand Strasser frei. Er entschied sich für den Zeitfahrer Shiv von Sponsor Specialized. Vorbau, Lenker und Aufleger steuerte Syntace bei.
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  • Ein Bremshebel und ein Kettenblatt müssen für 24 h auf der Bahn ausreichen.Ein Bremshebel und ein Kettenblatt müssen für 24 h auf der Bahn ausreichen.Ein Bremshebel und ein Kettenblatt müssen für 24 h auf der Bahn ausreichen.
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 Dass mich der aktuelle Rekordhalter Marko Baloh vor Ort als Offizieller unterstützt, und nicht versucht seinen Rekord zu halten, ehrt mich sehr. 

Strasser über die Fairness und Aufrichtigkeit von Baloh.

Meist war es Cousin Michael Kogler, der streng nach Plan mit Flasche in der Hand neben der Bahn sprintete, sodass Strasser ohne Temporeduktion an die bitter benötigten Verpflegung kam. Wasser, Isopulver, Kohlenhydrate, Grüner Tee - insgesamt sollten um die 400 bis 500 kcal pro Stunde ausgehändigt werden. Hätti-wari-tati. Nach zwei oder drei Stunden sträubten sich Magen und Darm. Zu statisch wohl die tiefe Position am Zeitfahrer, zu abgeklemmt der Torso, zu belastend die wiederkehrenden Linkskurven. Während das Tempo weiter jenseits der 41 km/h bleibt, muss an der Ernährungsschraube gedreht werden. Sowohl Strasser als auch sein erfahrenes Team bleiben bewundernswert ruhig, während sie versuchen, die Probleme in den Griff zu bekommen. "Wir geben ihm jetzt Grünen Tee, ein bisschen Cola," erklärt Freundin Sabine. Akribisch dokumentiert Teamchef Michael währenddessen alles, was Strasser gereicht bekommt. Ist es zu wenig, muss er ein Päckchen Ensure schlucken - ob der Magen will oder nicht.

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Strassers Rekorddaten

Zeit: 24:00 Stunden Distanz: 941,873 Kilometer
Normalized Power: 218 Watt Runden: 3767
ø Herzfrequenz: 139 bpm Energieverbrauch: 18382 kj
ø Trittfrequenz : 75 rpm Flüssigkeitsaufnahme: 15 Liter
Körpergewicht: 78 kg FTP: 370 Watt
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Nach sechs Stunden liegt der Schnitt bei unglaublichen 41,7 km/h. Schnell genug, um einen Vorsprung von gut 40 Minuten auf Baloh herausgefahren zu haben. Langsam lässt der Grazer nun etwas nach. Bis Mitternacht sinkt die Leistungskurve - ist es nun an der Zeit, dem hohen Anfangstempo, den Magenproblemen und der verminderten Energieversorgung Tribut zu zollen? Die Besucher machen Stimmung, feiern, angeführt vom Specialized Team rund um Marketing-Manager Jan Bruns am Streckenrand, jeden Kilometer. Zu weit fortgeschrittener Stunde fordert der Mann im Kreisel endlich wieder Ensure - Kalorien. Der Magen scheint sich beruhigt zu haben. Teamchef Michael strahlt. Die Zeiten werden wieder schneller, der Vorsprung auf Baloh beträgt bald 50 Minuten, zeitweise mehr. Und auch der wiederkehrend streikende Funk konnte dank Technik-Joker Bob auf Schiene gebracht werden. Auch wenn allen die Müdigkeit im Gesicht steht - es läuft.

Während die Nahrungsaufnahme wieder aufgenommen wird, sorgt die Ausscheidung für ungläubige Blicke und Verwunderung. In den ersten 12 Stunden musste Strasser kein einziges Mal pinkeln. Auch nicht nach 14 Stunden. „Ich würde so gerne, aber ich muss einfach nicht“ funkt er in die Nacht. Die Halle ist mittlerweile menschenleer. Der letzte Gin-Tonic getrunken, die aus Graz angeradelten Abordnung der Veloblitz-Kuriere tief in den Schlafsäcken verkrochen, verbleibt nur eine Hand voll Leute im Velodrom. Freundin Sabine und Cousin Michael umsorgen, die Offiziellen überwachen, Fotograf Manuel Hausdorfer dokumentiert. Die übrigen Helfer haben sich kurz aufs Ohr gelegt, um Energie für den bald anbrechenden Tag zu sammeln.

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 Zu fortgeschrittener Stunde retten nur noch wenig jugendfreundliche Gesprächsthemen vor der drückenden Müdigkeit: "Woat - wo muasst eam eintauchen, damit er länger steht?" 

Team Strasser beim Dirty-Funk-Talk, oder so...
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Mit eintreffenden "Schankmopeds", wie Sabine die Damen an der extra eingerichteten Bar liebevoll nennt, wird es Zeit fürs Frühstück. Die Pace ist weiterhin hoch, auch wenn der anfangs angestrebte Traum vom 40er-Schnitt mittlerweile zum "die 39 muss im Ziel vorne stehen" abgewandelt wurde. Kaffee mit Wasser, dazu ein Päckchen Ensure und Kaugummi läuten die finalen Stunden im Velodrom ein. In der Nacht war Müdigkeit und Sekundenschlaf immer wieder ein Problem. Die Monotonie im Velodrom ist wohl einer der härtesten Gegner. Doch jetzt, da wieder Leben in die Halle einkehrt, scheinen die Schaumstoffbegrenzungen an der Côte d'Azure (so nennt man den blauen Bereich im unteren Radius der Bahn) wieder in Sicherheit. Nach unfassbaren 21 Stunden 53 Minuten dann endlich der erste und einzige Stopp. Im zweiten Anlauf schaffen es schwächelnde Hinterbremse und Pilot rechtzeitig, stehen zu bleiben. Auf Kampflinie holpert Strasser über die Schaumstoffschweller zur rettenden Plastikflasche. Wenig später werden die bisweilen etwas verhalten gewordenen Rundenzeiten wieder schneller. "Die Pause hat mir gut getan. Ich hab mich richtig gut erholen können, und fühl mich wieder total frisch" erreicht es uns via Funk. Zweieinhalb Minuten Pause nach 22 Stunden. Kann das sein Ernst sein?

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  • Kontrolle muss sein - einmal Pinkeln vorKontrolle muss sein - einmal Pinkeln vor
    Kontrolle muss sein - einmal Pinkeln vor
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  • den gestrengen Augen der Schweizer Anti-Doping Agentur.den gestrengen Augen der Schweizer Anti-Doping Agentur.
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Es kann, wie die letzten Stunden zeigen. Nach etwas mehr als 23 Stunden ist Marko Baloh seinen Weltrekord los - und Christoph bleiben noch unglaubliche 50 Minuten, um eins draufzusetzen. Das Velodrom nun gut gefüllt, trägt das Publikum den neuen Weltrekordhalter unter tosendem Applaus und unermüdlichen Laolawellen über die finalen Runden im 250 Meter-Oval. Als die Uhr den Reigen bei exakt 24 Stunden stoppt, stehen beeindruckende 941,873 Kilometer mit 39,24 km/h Average an der Anzeigetafel. Wie weit das ist, verdeutlicht Google Maps - einmal von Wien nach Hamburg - ein kleiner orientierungsbedingter Umweg inklusive. Chapeau, Straps! Wir sind mehr als beeindruckt. Sowohl von dir, deinem Willen und deiner Leistungsfähigkeit, als auch vor deinem Team, das im Hintergrund unermüdlich die Strippen zieht. Ihr alle, Kougi, Sabine, Bob, Hausi, Jürgen, Rosalie und Martin, verdient euren ganz eigenen Applaus.

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  • Der alte und neue Rekordalter vereint.Der alte und neue Rekordalter vereint.
    Der alte und neue Rekordalter vereint.
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  • Strasser und sein Weltrekordteam.Strasser und sein Weltrekordteam.
    Strasser und sein Weltrekordteam.
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Fragestunde mit dem Rekordhalter

Woran denkt man 24 Stunden lang? Ich löse auf langen Strecken immer Probleme, aber genügend Probleme für so lange Zeit…

Das ist eine gute Frage, die ich gar nicht so leicht beantworten kann. Ich glaube, entscheidend ist, so wenig wie möglich zu denken und zu grübeln, sondern sich selbst so stark in einen Flow zu konzentrieren, dass man völlig in der Aktion, in der Bewegung, aufgeht. Es ist ein bisschen wie Meditation, wobei ich das gar nicht kann, nie mache oder gelernt habe. Vielleicht ist das meine eigene Art der Meditation, die ich mir irgendwie unterbewusst angeeignet habe. Ich hab immer versucht, maximal eine Stunde lang nach vorne zu denken. Die Watt in der nächsten Stunde stabil halten, die Sitzposition zu spüren und in den Körper hören, ob alles einigermaßen passt. Am Sattel regelmäßig von links nach rechts zu rutschen, um nichts "einschlafen" zu lassen. Tatsächlich hat man hat nicht mehr als 3-4 Sekunden Zeit für einen Gedanken, dann kommt schon wieder die Kurve, und du denkst nur: "Eng unten bleiben, ja keine Meter und Schwung verlieren indem ich zu weit nach draußen abdriften. Und auf keinen Fall zu weit nach innen, sonst rumple ich über die Schaumstoff-Absperrung und im blödesten Fall lande ich auf der Schnauze. Ich hatte den mp3-Player an einem, den Funk mit der Crew im anderen Ohr, wobei das alles doch sehr eingeschränkt war. Auch technisch, wegen der vielen WLAN-, Mobilfunk- & Bluetooth-Signale in der Halle.

Beim RAAM kann ich die Gedanken schweifen lassen, stundenlanges Fachsimpeln, Philosophieren, Schmäh führen mit meinen lieben Betreuern. Das erleichtern das Ganze. Dort hat mein Team auch viel mehr Einfluss auf mich und kann mich aufbauen und unterstützen. Hier war ich ziemlich allein und gefangen - physisch in diesem Hamsterrad und mental in der Monotonie und Enge des Velodroms. Ich hab mich einfach immer ermahnt, mich zu konzentrieren, dran zu bleiben, stark zu bleiben. Hab mir vor Augen geführt, welcher Aufwand hinter dem ganzen Projekt stand, mit der aufwändigen Organisation, der Verschiebung um ein Jahr (Anm. d. Red.: der erste Rekordversuch war für 2016 im Wiener Dusika-Stadion geplant), der Unterstützung vieler Menschen auf meinem Weg hierher - und dann die Ehre, den aktuellen Rekordhalter hier zu haben.

 Oida Strassa, worauf hast du dich da eingelassen? 

Gedanken und Abschalten

Mir ist nach circa zwei Stunden fast zum Weinen gewesen, ich hatte vorübergehend schlimme Rückenschmerzen. Da denkt man nichts Gutes. Und nach fünf Stunden hatte ich mit Anflügen von Sekundenschlaf bzw. mit ganz arger Müdigkeit zu kämpfen. Ich hab mich schon gefragt: "Oida Strassa, worauf hast du dich da eingelassen?" Aber was ich in den letzten Jahren immer besser kann: Das Grübeln abschalten. Sich für Dinge entscheiden, und dann einfach durchziehen. Den tieferen Sinn muss ich im Vorfeld wissen und kann mir meine Beweggründe über Wochen und Monate überlegen, aber während der Aktion gibt es keine Warum-Frage mehr. Da gibt es nur Tun. Und treten. Und die Kurve eng nehmen. Und ich wusste bzw. hab mich während der Fahrt entschieden: Das ist das Irrste, was ich jemals gemacht habe, und ich werde und muss nie mehr auf die Bahn zurück. Ich will das einfach nur durchdrücken und dann ein großes Kapitel abschließen.

Während der Fahrt und auch kurz danach war ich teilweise frustriert, da die Leistungswerte so stark abgesunken sind. Ich wusste ja, dass ich 250 W durchhalten kann, bzw. dass ich das auf der Straße schon mehrmals über 24 h bringen konnte. Aber jetzt, mit einigen Tagen Abstand, wird mir klar, dass es doch eine Monsterleistung war, vor allem weil es diese ganzen Schwierigkeiten gab. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass man auf der Bahn über diese Dauer nicht die gleiche Leistung wie draußen treten kann. Auch das Gehirn verbraucht mehr Energie, die dauernd geforderte Konzentration ist körperlich sehr erschöpfend.

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22 Stunden ohne Klopause, und das bei der Flüssigkeitsmenge. Wie geht das? War es ein Spiel für dich, eine Art Ablenkung von der Monotonie?

Das war leider ganz und gar nicht geplant und auch nicht so super angenehm. Ich hätte viel lieber öfter aufs "Häusl" gehen wollen, aber da war irgendeine Blockade. Die Ernährung hat diesmal nicht so perfekt funktioniert wie bei meinen anderen Ultradistanzen, obwohl wir die exakt gleichen Produkte (Flüssignahrung und KH-Elektrolytdrink) verwendet hatten. Mir wurde nach einigen Stunden übel und ich war einige Male fast am Kotzen, habe dann wenig zu mir nehmen können. Da war im Vorfeld doch etwas mehr Aufregung, dazu die gekrümmte Aero-Sitzposition, die den Magen-Darm-Trakt und auch die Blase belastet. Mir war zwar nicht schwindelig, aber das ewige nach links-Fahren und die Fliehkraft in den Steilkurven hat sicher auch ein "flaues" Gefühl im Bauch verursacht. Laut Protokoll hab ich in Summe 15 Liter getrunken und konnte erst nach 22 Stunden einmal pinkeln. Beim RAAM ist das ähnlich, wobei - da trinke und schwitze ich mehr, weil es heißer ist. Aber laut Ärzten ist das auch eine hormonelle Geschichte: Wenn der Körper Stress hat, wird das Hormon ADH vermehrt gebildet und der Harn zurückgehalten, um vor Dehydrieren zu schützen (bin kein Doc, ich kanns nur laienhaft wiedergeben). Ich war dann echt froh, als ich mich erleichtern konnte und gespürt habe, jetzt beginnt alles im Körper wieder zu funktionieren. Bei 24 Stunden weiß ich aber, dass ich einen kleinen "Ernährungsengpass" aushalten kann, beim RAAM wäre das der Anfang vom Ende. Für 24h reichen die Depots doch irgendwie.

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Weshalb die weite Reise nach Grenchen, und nicht das Wiener Dusika? Ist die Bahn tatsächlich so viel schneller?

Das war keine einfache Entscheidung. In Wien mussten wir mit Unterstützung des ÖRV an die Stadt Wien herantreten, das ist ein mühsamer Weg und es galt, monatelang auf Antworten zu warten. Es gab mündliche Zusagen à la "ja, ja, das machen wir schon", aber keine schriftlichen. Das Dusika Stadion ist eine große öffentliche Sportstätte und damit anders verwaltet als eine kleine Turnhalle, das ist schon klar. Ich will mich auch gar nicht beklagen - in Österreich ist das eben die Art und Weise, wie öffentliche Stätten verwaltet werden. Ich hab mir auch keine Sonderbehandlung erwartet, außer normale Antworten auf Emails oder Anrufe. Aber Rückrufe oder beantwortete Mails sind offensichtlich nicht selbstverständlich, das war neu für mich. Trotzdem hatten wir im Vorfeld viele Ideen und viele Fürsprecher, die sich einfach gefreut hätten, wenn wir ein spezielles und außergewöhnliches Event in Österreich auf die Beine gestellt hätten. Es war auch klar, dass wir einen 5-stelligen Betrag zahlen, um das machen zu dürfen; niemand wollte gratis in das Stadion. Mir ist natürlich bewusst, dass solch ein Vorhaben polarisiert und es viele gibt, die kein Interesse daran haben.

Als wir dann den ersten Kontakt mit Grenchen hatten, war das ganz anders. Die Betreiber dort haben sich sofort für die Idee begeistert, wir hatten innerhalb von Stunden alle vertraglichen Rahmenbedingungen, die Kosten, die Leistungen, die Möglichkeiten. Da sind ein Hotel, ein Restaurant, eine Bar, ein Fitnessstudio und ein Bike-Shop im Gebäude. Es ist ein lebendiges und buntes Sportzentrum, ist permanent ausgebucht, tagsüber gibt es Jugendkurse und abends öffentliches Training, das Velodrom versprüht eine wunderbare Atmosphäre, die Mitarbeiter sind kompetent, professionell und bemüht. Die Bahn selbst ist eine der modernsten und schnellsten der Welt, mit voll integrierter Zeitnehmung. In Wien hätten wir sogar für ein Zielband und jeden Plastiksessel im Innenfeld extra bezahlen müssen und die Zeitnehmung extern anmieten. Wir haben uns dann sofort für Grenchen entschieden, auch wenn klar war, dass wir weniger Leute vor Ort mobiliseren können, da es aus Österreich doch ein weiter Weg ist. Fakt ist, solch ein Event ist nicht günstig, und wir bezahlen lieber dort, wo man uns unterstützt.

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Wird dich die Bahn in Zukunft wiedersehen, oder hast du nach der Vorbereitung und den 24 Stunden erstmal genug vom Velodrom?

Ffuuuuuuhhhhh, eher weniger. Es war eine schöne Zeit, wenn ich an den ganzen Prozess zurück denke. Da war 2010 die Meldung mit den Videoberichten von Marko Baloh, als er in Italien diesen Rekord geschafft hat. Damals wurde mir bewusst, dass es sowas überhaupt gibt, und dass es wohl das zachste, aber auch ehrlichste und puristischste sein muss, das man als Langstreckenfahrer machen kann. Ich hab mich dann 2016 auf der Bahn vorbereitet, das #kreisradlfoan gelernt, begonnen, an Material, Sitzposition und Strategie zu tüfteln. Dann war der organisatorische Part. Specialized hat mir Unterstützung zugesagt, wir planten, gemeinsam ein attraktives Event auf die Beine zu stellen, wo man gerne hingeht, wo man rundum etwas erleben kann, wo Musik gespielt wird, es etwas gutes zu Essen und Trinken gibt, und ich dann auch noch die Runden drehe. Den ersten Anlauf 2016 mussten wir dann jedoch wegen meiner Verkühlung absagen. Das war für mich persönlich sehr hart. Für den neuen Termin 2017 lief es dann aber gut. Das RAAM 2017 mit meinem vierten Sieg, die Zwangspause wegen des Sturzes im Juli (welche mich im Kopf vermutlich stärker und entschlossener gemacht hat), dann die spezielle Vorbereitung auf der Bahn. In diesem Zusammenhang möchte ich mich ausdrücklich beim ÖRV für die Unterstützung bedanken, dass ich im Dusika trainieren durfte und so topfit für #track24h war.

Tja, und nun ist also alles gut gegangen. Die Geschichte hat mir viel gegeben, es war ein langer und schöner Prozess mit Hochs und Tiefs. Man hat auch wieder gesehen, wie ehrlich es im Ultrasport zugeht, denn Marko Baloh war hier, um meine Fahrt zu beobachten und als Official auf die Regeleinhaltung zu achten. Er hat mir gratuliert und eine Urkunde überreicht. Das ist eine riesengroße Geste von ihm, das kann man gar nicht hoch genug schätzen.

Ich möchte mich auch nochmal bei Specialized und beim Tissot-Velodrom für den wunderschönen Rahmen in Grenchen bedanken und kann das Kapitel Bahnfahren nach 941,873 km abschließen. Schön wars, aber genug wars auch ;-) Ich freu mich jetzt mal auf ein paar Tage faulenzen, auf bisserl Party und darauf, das Leben zu genießen. Man sollte sich selbst nicht zu ernst nehmen und darf bei aller Konsequenz nicht vergessen, dass das Leben aus viel mehr Dingen als Radfahren besteht. Auch wenn Radfahren eins der schönsten Hobbies im Leben ist.

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  • 3 Jahre später...
Nach fast 16 Stunden noch immer über 43 hm/h Schnitt pro Runde, Wahnsinn. Ich glaub ich wär bei dem Tempo nach einer Runde platt :D.

 

was muss er denn ungefähr Watt treten für dieses Tempo?

 

Er wird irgendwo zwischen 250-270w landen am Ende. Vielleicht auch eine Spur mehr, wenn es ihm richtig gut läuft.

 

PS: ich nehme an, dass er am Tag mehr Watt tritt, als in der Nacht, aber Straps macht seine Daten eh sehr oft öffentlich.

Bearbeitet von Reini Hörmann
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