
BH Lynx 4.8 29 9.3 Carbon
01.05.14 07:31 16.2152014-05-01T07:31:00+00:00Text: NoManFotos: Erwin HaidenDieses Zeichen-Wirrwarr kommt euch Spanisch vor? Korrekt! Bikeboard.at präsentiert einen hierzulande noch relativ unbekannten Südländer für Touren und mehr, der's faustdick hinter den Carbonfasern hat.01.05.14 07:31 16.2192014-05-01T07:31:00+00:00BH Lynx 4.8 29 9.3 Carbon
01.05.14 07:31 16.2192014-05-01T07:31:00+00:0012 Kommentare NoMan Erwin HaidenDieses Zeichen-Wirrwarr kommt euch Spanisch vor? Korrekt! Bikeboard.at präsentiert einen hierzulande noch relativ unbekannten Südländer für Touren und mehr, der's faustdick hinter den Carbonfasern hat.01.05.14 07:31 16.2192014-05-01T07:31:00+00:00Ende März 2014. Die Bikeboard-Redaktion bekommt Besuch von einem Großen, zugleich Unbekannten. BH sein Name, über 100 Jahre alt seine Geschichte. Trotzdem kennen den Spanier hierzulande nur Wenige.
Das Logo, ja, irgendwann schon Mal gesehen ... war da nicht was mit Olympischen Spielen? Richtig, Julie Bresset, Gold im Cross Country, London 2012. Straßenfahrern ist vielleicht auch das G5 ein Begriff, oder womöglich die durchaus glanzvolle Karriere des im Baskenland beheimateten Labels bei Vuelta & Co.: Alvaro Pino, Team Liberty Seguros, Roberto Heras, Alexander Vinokourov, oder Rinaldo Nocentini für AG2R-La Mondial, um nur einige zu nennen.
Die nach ihren Gründern "Beistegui Hermanos" (das heißt soviel wie Gebrüder Beistegui), kurz BH (das Kürzel wird Spanisch ausgesprochen, also "be atsche"), benannte Firma begann 1909 als Waffenschmiede, sattelte aber in den frühen 1920ern auf die Produktion von Fahrrädern um. Auch heute ist BH noch in Familienbesitz und arbeiten die Eigentümer in diversen Stellen des Unternehmens mit.
Generell weist das Line-up von BH erfrischend eigenständige Ideen auf. Ob jüngste Entwicklungen wie das XC-Hardtail Ultimate 27,5 oder die E-Bike Linie Neo beim gerne auch konservativen Radsport-Klientel Anklang finden werden, sei dahingestellt. Von Mut für Neues und Liebe zum Detail zeugen sie allemal.
Fakt ist: Die spanische Marke, in Südeuropa eine Größe und seit der Jahrtausendwende auch in Amerika und Asien mit eigenen Zweigstellen vertreten, will nun auch in Mittel- und Nordeuropa durchstarten. Und mit der Lynx-Produktreihe hat sie, was den MTB-Sektor betrifft, auch ein durchaus schlagkräftiges Argument an der Hand.
Theorie ...
Schon der erste Anblick des Lynx 4.8 29 offenbart Innovationsgeist und gestalterische Courage. Kühn schwingt sich das Carbon-Monocoque vom vorderen zum hinteren 29“-Laufrad, brachial verschaffen sich Tretlagerbereich und Kettenstreben Platz, anders als bei den meisten anderen ist die Frage der Dämpfer-Position gelöst.
Der 2012 auf den Markt gekommene (Lynx 4) und mittlerweile zu einer ganzen Produktfamilie (Lynx 4.8: All Mountain, Lynx 6: aggressive Trail Riding) mit verschiedensten Laufradgrößen ausgebaute Rahmen trägt die Handschrift von Suspension-Guru Dave Weagle. Der Entwickler rollender Meilensteine wie dem Iron Horse Sunday oder dem Ibis Mojo hat BH als bislang einzigem europäischen Hersteller gestattet, auf sein Split-Pivot-Patent zurückzugreifen.
Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um einen konzentrischen hinteren Drehpunkt (Laufradachse und hinterer Drehpunkt fallen zusammen) mit kurzem, am Sattelrohr montiertem Rocker, der einerseits die Pedal- und Bremskräfte von den Federungskräften entkoppelt, andererseits eine deutlich progressivere Dämpferanlenkung als bei manch Mitbewerber ermöglicht. Man kennt dieses System unter dem Namen Active Braking Pivot (ABP) von Trek, anders als die Amerikaner vertraut BH jedoch auf eine schwimmende Aufhängung des Dämpfers.
Derselbe wiederum durchbricht das Sitzrohr, was eine sehr kompakte Bauweise (430 mm Kettenstreben sind an einem 29er-Fully so ziemlich das Kürzeste, was uns bis dato untergekommen ist) gestattet und außerdem Platz für eine Wasserflasche schafft, das Federbein allerdings auch den Schmutzattacken des Hinterreifens aussetzt. Bei BH vertraut man diesbezüglich auf die mittlerweile sehr hochwertigen Dichtungen und schlagfesten Beschichtungen der Federbeine, trotzdem: Regelmäßiges Reinigen und Kontrollieren des Dämpfers ist somit äußerst ratsam.
Damit trotz dieser Konstruktion Platz für den Direct Mount-Umwerfer bleibt, ist die Dämpferaufhängung asymmetrisch ausgestaltet - ziemlich ausgefuchst! Außerdem gibt's massenhaft Schrittfreiheit und auch ausreichende Reifenfreiheit.
Was hingegen durchgängig fehlt, sind Schutzvorrichtungen – weder Unterrohr noch Kettenstreben werden vor Steinschlägen & Co. bewahrt.
Die Alu-Wippe ist, abgesehen von einigen Schrauben, das einzige Metall, das sich an dem Chassis aus HM-Fasern finden lässt. Vom integrierten konischen Steuersatz über die schon erwähnte Umwerfer-Befestigung bis zur PM-Bremsaufnahme regiert Carbon.
Darüber hinaus ist (fast) alles an Bord, was heutzutage State of the Art ist: 142x12 Steckachse hinten, QR 15 vorne, innen geführte Schaltzüge, Kabelhalterungen für ein Remote Dämpfer-Lockout, Öffnungen für die innen laufende Leitung einer verstellbaren Sattelstütze (Anmk.: "Stealth-Style" konstruktionsbedingt nicht möglich, weil das Kabel aufgrund des unterbrochenen Sitzrohrs durchs Oberrohr laufen muss) ...
Was beim Einladen ins Auto unangenehm auffiel: das Fehlen des Schnellspanners an der Sattelstützenklemme. Das ist, zumal bei einem Bike, dessen Einsatzbereich recht eindeutig im AM-Bereich liegt, Sparen am falschen Ort. Noch dazu, wo das Bike insgesamt ja nicht an Übergewicht leidet.
Tech Specs
Rahmen | Vollcarbon mit Split Pivot Hinterbau | Kassette | Shimano Deore, 11-36 Z. |
Größen | SM/MD/LA/XL | Felgen | DT Swiss X470 (Serie: BH Lite) |
Gabel | RockShox Recon TK Gold 29, 120 mm | Naben | Superlite (Serie: BH Lite) |
Dämpfer | RockShox Monarch RT | Reifen | Michelin Wild Grip'r 2,25/Racer 2,25 |
Schaltwerk | Shimano XT | Lenker | BH Lite Rizer, 720 mm |
Schalthebel | Shimano Deore | Vorbau | BH Lite, 70 mm |
Umwerfer | Shimano SLX | Sattel | Prologo Kappa Evo |
Bremsen | Formula RX, 180/160 mm (Serie: Magura MT2/4) | Sattelstütze | BH Lite, 400 mm |
Kurbel | Shimano Deore M625, 24/38 | Gewicht | 12,98 kg (o.P.) |
Innenlager | Shimano, PressFit BB 92 | Preis | € 3.499,90,- (Serienausstattung) |
... und Praxis
Die Sattelstütze war auch das erste Problem bei der Jungfernfahrt, ist sie mit 400 mm doch zu lang, um vernünftig an die Pedale zu kommen. Nachdem ein kürzeres Pendant aufgetrieben war (Testmaterial zerschneidet man echt ungern), herrschte jedoch umgehend eitel Wonne auf den Trails. Was das Absenken generell betrifft: Bei entsprechend kurzer Stütze und Schnellspanner wären ein paar Zentimeter möglich. Die konstruktionsbedingt ohnehin bessere Lösung wäre aber freilich eine Teleskop-Variante.
Das Lnyx 4.8 fällt, wie bereits angedeutet, sehr kurz aus. Entsprechend relaxt ist die Sitzposition; gepaart mit dem breiten Riser kontrolliert man gefühlsmäßig eh so ziemlich alles, was sich vor einem auftut. Hinzu kommen ein sehr flacher Lenk- und relativ flacher Sitzwinkel. Ergo bahnt sich das BH recht unbeeindruckt vom Geläuf seinen Weg durchs Gelände, bergab verliert dadurch manch Steilhang seinen Schrecken. Der kurze Vorbau relativiert die Geometrie wieder ein wenig, was unterm Strich die perfekte Mischung aus Spurtreue, Wendigkeit und dem Ausbleiben von Überschlagsgefühlen ergibt.
Der brachialen Optik des Bikes ist es wohl geschuldet, dass die überzeugende Downhill-Performance wenig überrascht. Was so wuchtig daherkommt, muss bergab doch funktionieren ... Deutlich unerwarteter ist insofern, dass auch Klettermaxe mit dem Lynx auf ihre Kosten kommen. Natürlich verpufft (vor allem im Wiegetritt) etwas Energie in leichtem Wippen, logisch lässt sich ein Twentyniner mit 120 mm Federweg und 13 Kilogramm nicht so leichtfüßig vorantreiben wie ein XC-Hardtail. Aber in Summe bewältigt das Lynx deutlich steilere Stiche, als man ihm zutrauen würde (an der "Wand vom Größenberg" in Bad Fischau war allerdings Schluss - Zusammenhang mit dem deplorablen konditionellen Zustand der Testfahrerin ausgeschlossen) und gestattett es, auch auf langen Anstiegen Haltung und Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Mitradelnden zu bewahren.


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In der einen wie anderen Neigungsrichtung gefällt die Feinfühligkeit des Hinterbaus bei gleichzeitig unbestreitbaren Nehmer-Qualitäten. Mit dem Fahrwerk ist Herrn Weagle wirklich ein Gustostück gelungen, dem zum klaglosen Funktionieren offensichtlich auch bereits ein relativ einfach konzipierter Dämpfer wie der Monarch genügt.
Das Tüpfelchen auf dem i wäre wohl, weil bei schnellen Antritten doch effizienter, ein funktionierendes Lockout. Die waren aber am Tag der Bestückung des Testbikes anscheinend aus - auch die RockShox-Gabel glänzte diesbezüglich mit Totalausfall. Ganz generell schien die Recon aber an einem gröberen Gebrechen zu leiden. Zumindest war sie selbst mit nur mehr 40 psi zu keiner vollinhaltlichen Nützung ihres Federweges zu bewegen und rührte sich generell nur zögernd und ruckelnd.
Was die übrigen Komponenten betrifft, muss bei ganz gestrenger Auslegung festgehalten werden, dass Shimano und Schwalbe nicht umsonst Marktführer sind. Das Michelin-Duo rollte passabel, hielt gut in der ersten, meist staubtrockenen Testphase, erinnerte in der zweiten, deutlich feuchteren aber daran, dass es bessere Gummis für schlitzige Steine und patzigen Lehmboden gibt als den Race'r.
Der bunt geratene japanische Antriebs-Mix ging funktional in Ordnung, zum Sattel lässt sich nichts sagen, weil dieser mit der Sattelstütze mitgetauscht wurde, die (nicht serienmäßigen) DT Swiss-Laufräder verhielten sich unauffällig, was gleichzusetzen ist mit gut.
Eher enttäuschend waren die Formula RX-Bremsen die aus - auch dem Österreich-Importeur Christian Deixler - unbekannten Gründen statt der serienmäßigen Magura montiert wurden. Nicht in Sachen Dosierbarkeit, Standfestigkeit oder Power - alles einwandfrei. Die bereits vor Jahren beklagte Geräuschkulisse (quietschen, klingeln, schreien) dürften die Italiener aber immer noch nicht im Griff haben.
Fazit
BH Lynx 4.8 29 9.3 Carbon | |
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Modelljahr: | 2014 |
Testdauer: | 5 Wochen, ca. 450 km |
+ | anders als die anderen - und durchdacht |
+ | das Pivot-Dings funktioniert |
+ | so kurz wie cool |
o | fairer Preis |
o | Dämpfer ist Schmutz, Steinschlag ausgesetzt |
- | keinerlei Rahmenschutz |
- | Sattelstütze: kein Schnellspanner |
- | Federungs-Wehwehchen |
BB-Urteil: | Spanischer Eroberer |
Dave Weagle präsentierte das Lynx 4 ursprünglich als XC-Fully, auf der Homepage der Spanier rangiert das 4.8 mittlerweile als All Mountain, und mit dem Lynx 6 wurde der Produktfamilie jüngst Nachwuchs mit aggressiverer "Trail-Riding"-Geometrie hinzugefügt.
Diese Vielfalt sagt eigentlich schon alles. Das Lynx ist eine Plattform mit vielen Gesichtern (Pinkbike hält das 4.8 mit den richtigen Komponenten sogar für Enduro-tauglich), und alle davon machen Spaß.
Mit seinem geringen Gewicht, den 120 mm Federweg, die sich durchs "Drinnensitzen" mitunter auch nach mehr anfühlen (wiewohl die Recon nicht mal annähernd ihr Soll freigeben wollte), den flachen Winkeln und kurzen Kettenstreben ist das Lynx 4.8 der lustigste Twentyniner, den ich bis dato gefahren bin - und das will bei einer notorischen Big Wheel-Skeptikerin etwas heißen!
Als Fan außergewöhnlicher Design-Lösungen punktet das BH bei mir außerdem mit seiner ausgefallenen Optik = Konstruktionsweise - zumal diese auch kinematisch gelungen und bis in fast jedes Detail überlegt zu sein scheint.
Speziell im Alpenraum, in dem sich die Spanier ja gerne breiter machen würden, ist dieses Touren-Fully (wenn mit versenkbarer Sattelstütze oder zumindest Schnellspanner ausgestattet) sicher gut aufgehoben.
Wer sich finanziell noch ober- bzw. unterhalb der - generell sehr fairen - Dreieinhalbtausend umschauen möchte, wird bei zwei weiteren Carbon-Modellen (9.5 um 4.999,80 und 9.7 um 6.999,90) bzw. Alu-Ablegern (8.9 um 2.499,90 und 8.7 um 1.999,90) fündig.