
E-Bike Tour Mahdalm Lammertal
30.04.20 05:24 12.2922020-04-30T05:24:00+00:00Text: NoManFotos: Erwin HaidenVon der Federkiel-Stickerei auf die Mahdalm. Altes Handwerk trifft auf neue Technik, gelebte Tradition auf moderne Mobilität. Ein Tag voller Präzisionsarbeit, Bergluft und Hüttengaudi.30.04.20 05:24 12.3052020-04-30T05:24:00+00:00E-Bike Tour Mahdalm Lammertal
30.04.20 05:24 12.3052020-04-30T05:24:00+00:0026 Kommentare NoMan Erwin HaidenVon der Federkiel-Stickerei auf die Mahdalm. Altes Handwerk trifft auf neue Technik, gelebte Tradition auf moderne Mobilität. Ein Tag voller Präzisionsarbeit, Bergluft und Hüttengaudi.30.04.20 05:24 12.3052020-04-30T05:24:00+00:00„Im Salzburger Lammertal ticken die Uhren noch etwas anders. Ursprünglicher. Irgendwie eine ganz andere Welt.“
Vor unserer Reise nach St. Martin im Tennengebirge im Herbst 2019 hatten wir dieses Bonmot des örtlichen Tourismusverbandes noch als heiße Marketing-Luft abgetan. Nun jedoch halten wir die Luft an – vor Staunen, Ver- und Bewunderung, Faszination. „40 bis 250 Arbeitsstunden.“ Soviel Zeit steckt in den Werkstücken, welche die Salzburger Federkiel-Stickerei in St. Martin verlassen.
Schon seit einer Weile führt uns Herbert Klieber durch seinen Betrieb im Zentrum des 1.600-Einwohner-Dorfes im Salzburger Tennengau. Die schmucken Räumlichkeiten sind Werkstatt, Verkaufs- und Schauraum zugleich. Drei junge Burschen hocken auf ihren „Nährössln“ an der Fensterseite und fertigen mit schier unglaublicher Geduld kleine, gestickte Kunstwerke für Ranzen, Fatschen, Taschen, Haarschnallen und Co. Es sind Herberts Söhne.
In ihrer Freizeit zieht es sie hinaus in die Natur, ins Tennengebirge, ins Dachstein-Massiv, auf den Gosaukamm. Sie sind flotte Läufer, geschickte Kletterer, wagemutige Paragleiter und mehr. Ihr Vater gilt als einer der ersten Mountainbiker und nunmehr E-Mountainbiker im Ort. Aber hier herinnen zelebrieren sie das Entschleunigte, das Althergebrachte, das Schöne. Und fügen sich damit wunderbar ein in eine Welt, in der das Brauchtum nicht nur gepflegt, sondern ganz selbstverständlich gelebt wird, in der noch Zeit bleibt für einen kurzen Tratsch oder einen langen Hüttenabend, und in der das imposante Bergpanorama die ideale Kulisse bildet für all das und mehr.
Das ist Geduldsarbeit, darum wird sie von Männern gemacht
Warum es - natürlich nur im Scherz - bei Herbert Klieber keine Federkielstickerinnen gibtPfau! Schön ...
Seit 1986 erzeugt und restauriert der Familienbetrieb aus Leder und gespaltenen Pfauenfederkielen feinste, handgestickte Ranzen (so heißen die meist kunstvoll verzierten Schlauchgurte mit Wertsachenaufbewahrungsfunktion, welche g'standene Männer in Bauchhöhe über den Lederhosen tragen), Gürtel, Taschen, Bucheinbände, Hosenträger, Geldbörsen und noch vieles mehr.
Das Handwerk freilich ist rund 200 Jahre älter und tief im deutschsprachigen Alpenraum und seinen Trachten verwurzelt. Die Federkiele dienen dabei nicht, wie Laien wie das Bikeboard-Team meinen könnten, als Nadel. Vielmehr werden aus ihnen durch Spaltung die Fäden, also sozusagen das Nähgarn, gewonnen. Möglichst regelmäßig und lang haben diese zu sein, und, abhängig von Motivgröße und -art, auch verschieden dick. Wie sich derlei erreichen lässt, ist ein wohlgehütetes Firmengeheimnis.
In Salzburg ist der Familienbetrieb der einzige seiner Art, österreichweit gibt es circa fünf. Früher der Zunft der Riemer zugehörig, werkt man nun offiziell als Sattler oder - wie die drei Junioren - Taschner, fühlt sich also seit jeher in der Lederverarbeitung beheimatet; wiewohl die Hauptarbeit schon das Sticken ist.
Herbert selbst ist Autodidakt, begann aus Spaß an der Freude, in den 1970er-Jahren einen Ranzen für sein Spielmann- und Schuhplattler-Dasein im Trachtenverein Eben zu realisieren. "Eine saugrausige Arbeit", urteilt der gelernte Elektriker heute über sein erstes Werk. Dennoch fand sie Anklang und entwickelte sich vom Hobby über manch Bestellung aus dem Bekanntenkreis weiter zum Beruf.
In der Werkstatt riecht es unaufdringlich natürlich, nach Leder und Holz. Wenn nicht gerade eine der teils historischen Schnitt-, Spalt- oder Nähmaschinen läuft, ist es auffallend ruhig. Bilder von prominenten Kunden zieren die Wand, alles atmet Gediegenheit, Traditionsbewusstsein und Qualität.
Den sogar für uns Banausen sichtbar lieblosen Billigfabrikaten aus Fernost setzt Herbert Klieber kompromisslose Perfektion und hundertprozentige Individualität entgegen. Viele seiner Werkstücke begleitet eine spezielle Geschichte, und so manche sind deshalb sogar unverkäuflich. Wie jener Ranzen, den einst ein Pfarrer erwarb und der per Verfügung in dessen Nachlass den Weg zurück zu seinem Erzeuger fand.
Sticken und treten
Aus einem Potpourri regionstypischer Muster, Symbole und/oder Wappen, Kundenwünschen und Budgetvorgaben entsteht Einzelstück um Einzelstück. Von der Skizze zum Entwurf, vom Entwurf zum Motiv, und von diesem zur Stickerei: Kopf nach rechts neigen, Ale durchstechen, Faden durchziehen, Kopf nach links neigen, nachspannen, kontrollieren.
Dass ein solcher Arbeitsalltag mitunter nach einem Gegenpol verlangt, liegt auf der Hand. Herbert Klieber sucht und findet ihn draußen, unmittelbar vor seiner Tür.
Das Lammertal befindet sich in der Ferienregion Tennengau, zwischen dem Tennengebirge, dem Dachsteinmassiv und der nördlich anschließenden Osterhorngruppe. Die Bezeichnung "Tal" ist dabei leicht irreführend. Zwar zwängt sich die Lammer bei Scheffau tatsächlich durch eine Engstelle, Lammeröfen genannt. Von oben betrachtet ähnelt das Flusstal mit seinem Hauptort Abtenau jedoch eher einem Becken mit Verzweigungen - weshalb die Region zum Biken nicht bloß links-recht bzw. rauf-runter kennt, sondern ein durchaus facettenreiches und in alle Himmelsrichtugnen führendes Streckennetz aufweist.
Ihre Aushängeschilder heißen Salzburger Almentour und Dachsteinrunde. Und speziell E-Biker schätzen die freigegebenen Forststraßen zu Loseggalm, Theodor-Körner-Hütte und Co.
Eine dieser bewirtschafteten Almen des offiziell als GenussRegion gelisteten Tennengaus, die Mahdalm, wollen wir nun mit Herbert besuchen.
St. Martin ist mit 949 Metern Seehöhe der höchstgelegene Ort des Lammertals. Deshalb geht es zu Beginn unserer Tour erst einmal bergab, hinaus aus dem charmanten Dorf und hurtig weiter bis Lungötz. Vorbei an Kaufhaus, Kindergarten und Löschzug pedalieren wir entlang des Neubachs Richtung Osten und werden alsbald von Almflair umgeben: Kühe weiden neben kleinen Gehöften, die Wiesen und Wälder kleiden sich bereits in herbstliches Braun.
Zwischen uns und unserem Ziel liegen 700 Höhenmeter, die es binnen zehn Kilometern zu überwinden gilt – und zwar phasenweise relativ steil. Dank E-Bikes merken wir davon jedoch recht wenig. Stattdessen bleibt Luft und Lust, mit Herbert über Land und Leute zu parlieren.
Der passionierte Hobby-Biker, wie selbstverständlich auch am MTB mit Lederhose und Wolljanker unterwegs, nützt seine Radtouren vor allem, um den Kopf frei zu bekommen – solo, gemeinsam mit seiner Frau oder auch im geselligen Kreis der „Martiner E-Biker“. Trails braucht er hierzu keine, Einkehrschwünge nimmt er hingegen, wenn sie sich bieten, sehr gerne mit.
Mit diesen Präferenzen scheint der vielseitige Unternehmer – der 55-Jährige ist auch Imker, Musikant uvm. – wie gemacht fürs hiesige Tourenangebot.
Während wir uns entspannt plaudernd höher schrauben, wird immer deutlicher, weshalb das Lammertal für fahrtechnisch anspruchslose Genussbiker sozusagen Idealterrain ist: Da ein Berggipfel, dort ein ganzer Stock, hier ein lieblich eilendes Bächlein, anderswo sanft abfallendes Grün. Und über allem thront die Bischofsmütze. Schon früh kam die höchste Erhebung des Gosaukammes mit ihrem markanten Doppelspitz ins Blickfeld. Je weiter rauf wir nun gelangen, desto imposanter wacht der 2.458 Meter große Hüne über uns … die Kulisse ist einfach umwerfend schön.
Bewegung, Ruhe und Genuss
Das Tennengauer UrlaubstrioGenusszentrum Mahdalm
Und sie wird noch schöner. Auf der Mahdalm öffnet sich der Blick zum fast allumfassenden Panorama: Direkt voraus das Tennengebirge mit seinen rund 20 Zweitausendern, die sich über das wild verkarstete Massiv verteilen; versetzt dahinter der Hochkönig, mit fast 3.000 Metern und rekordverdächtiger Schartenhöhe fast noch imposanter und jedenfalls mindestens so beeindruckend wie die langgezogenen Ketten der Radstädter und Schladminger Tauern auf der anderen Seite. Der Roßbrand mit seinem markanten Sender nimmt sich, waldumschlungen, grün bemoost, in all diesen Steinmeeren fast lieblich aus - ähnlich wie die Zwieselalm, auf deren Hängen ein gewisser Marcel Hirscher aus Annaberg ja einst den Nationalsport Nummer 1 erlernte.
Die am Fuß der Bischofsmütze gelegene Mahdalm steht dieser geomorphologisch beachtlichen Leistungsschau in nichts nach. Wie viel Hedonismus sich auf den wenigen Quadratmetern der sonnigen Holzterrasse und urigen Gaststube bündeln lässt, ist außergewöhnlich. Und welch selbstverständliche Geselligkeit sich daraus ergibt, bemerkenswert.
Jeder kennt hier jeden, wenn nicht von vornherein, dann spätestens, nachdem man eine Stunde zusammengesessen ist. Bei Spezialitäten wie dem Mahdalmbrettl, der Würstlsuppe mit Ur-Frankfurtern nach Originalrezept von 1805 oder dem Mohnkuchen mit Grant'nschleck (ein eher unschönes Wort für Preiselbeeren mit Schlagobers) wird geplaudert, gefeixt und das Leben gefeiert; selbstgemachte Säfte und Brände halten derweilen den Flüssigkeitshaushalt stabil.
"Heut' ist Stammtisch", erklärt uns Herbert, nachdem er nebst Schwager Heimo, Jäger Hias, Biker Fritz und Fixinventar Opa den gefühlt hundertsen Gast herzlich und freudig begrüßt. Aber irgendwie, so beschleicht uns im Laufe dieses gar genüsslichen und gemütlichen Nachmittags das Gefühl, ist auf der Mahdalm jeden Tag Stammtischtag ...
Uns von diesem Logenplatz mit Vollverpflegung wieder loszueisen, fällt nicht leicht. Aber es hilft ja nichts. Zwar bietet die Hütte auch ein kleines Zimmer mit Lager für 4-5 Personen, Sonnenauf- und -untergang. Aber unsere Unterkunft für die kommenden Nacht ist schon wo anders reserviert. Und Federkielsticker Herbert hat dem Vernehmen nach auch noch dies oder das zu tun, 700 Höhenmeter weiter unten in seinem Betrieb. Denn ganz anders als im Rest der Welt gehen die Uhren dann ja doch auch nicht, im Lammertal ...