
Enduro/Freeride Special: Top Parts der Saison 2011
Vor vielen Jahren beendete ich nach unzähligen Stürzen mit komplizierten Knochenbrüchen meine "MTB-Karriere" und wechselte zur Straßenfraktion. Dennoch ließ sich der Kontakt mit den stollenbereiften Ausgeburten nie wirklich vollständig vermeiden - ein Wiederaufflammen der Liebe zum Offroad blieb jedoch aus. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als ich im vergangenen Jahr den "schwarzen Peter" ausfasste und einen Kurztest mit dem Liteville 301 am Gardasee machen sollte. Völlig ahnungslos fragte ich den Bikeboarder Celias nach einer "Schnupperrunde", und wir fuhren gemeinsam die Pianaura Trails zwischen Arco und Dro. Nach ca. 1.200 steilen Höhenmetern bergauf endeten wir bei einem der vielen Trails, und ich traute meinen Augen nicht. "Is a deppat? Wer soll da runterfahren?", schoss es mir durch den Kopf, aber da gab Celias schon Gas und verschand hinter einer der vielen Kehren. So blieb mir nichts anders übrig, als ihm auf meiner Jungfernfahrt zu folgen...
Eine Stunde später saßen wir beim Wirten und ich formulierte mit feuchtem Sitzpolster und glasigen Augen mein Offroad-Frühjahrsprojekt: Ein unsterblicher Freerider mit Alltagsqualitäten sollte es werden, Rahmen und Parts funktionell auf höchstem Niveau, größtmögliche Reserven bei Federweg, Reifen und Bremsen, das Gewicht zweitrangig. Die Wahl fiel auf das Liteville 901 mit der 2011er XTR 2-fach AllMountain Gruppe mit 203mm Scheibingern vorne und hinten, einer feinfühligen Marzocchi 66er RC3 Evo Ti und Mavic DeeMax mit superfetten und schlauchlos montierten Muddy Marys.
Aufbau und Spezifikationen
Im Frühjahr hatte ich alle Teile beinander und der Aufbau konnte mit der Liteville Bedienungsanleitung des 901er Rahmens beginnen. Das Manual setzt neue Maßstäbe und ist in keinster Weise mit herkömmlichen zu vergleichen. Neben detaillierten Montagehinweisen für die verschiedensten Gabeln, Kurbeln, Schaltungen und Scheibenbremsen finden sich Infos zur Fahrwerksabstimmung und Wartung mit allen maximalen Anzugsdrehmomenten.
So war die Montage des Steuerlagers, der Gabel, des Tretlagers samt Kurbel und anderer Komponenten keine große Angelegenheit. Etwas tricky war die Zugverlegung der hinteren Scheibenbremse, da ich den Dämpfer dazu ausbauen musste, sowie die brutale Anpassung des Shimano E-Type Umwerfers mit der Feile. Schlussendlich war der Freerider fertig aufgebaut und das Fahrwerk provisiorisch eingestellt.
Tech Specs
Rahmen | Liteville 901 Mk2 Frame | Kurbel | XTR 980 AM 26-38 2-fach |
Größen | S-M-L-XL | Bremsen vo/hi | XTR 988 AM |
Dämpfer | FOX DHX Air 5.0 mit Liteville-Abstimmung | Bremsscheiben vo/hi | XT 203/203mm 6-loch |
Gabel | Marzocchi 66 RC3 Evo Ti | Schaltbremshebel | XTR 980 |
Vorbau | Syntace Superforce 31,8 60mm | Schaltwerk | XTR 980 SGS |
Lenker | Syntace Vector 31,8 740mm | Umwerfer | XTR 980 E-Type 2-fach |
Steuersatz | Syntace SuperSpin 1,5 tapered Steuersatz | Zahnkranzkassette | XTR 980 11-36 |
Sattelstütze | Syntace P6 Alu Sattelstütze 34,9mm 400mm | Kette | XTR 980 10-fach |
Sattel | Selle Italia | Laufräder | Mavic Deemax X-12 |
Pedale | XTR 985 All Mountain | Reifen | Schwalbe Muddy Mary 2.35/2.5 |
Shimano XTR All Mountain
Seit dieser Saison präsentiert sich die XTR-Gruppe Shimanos in völlig neuem Gewand. Neben einem adaptierten Design und vielen technischen Neuerungen soll die XTR sowohl Cross-Country-Racer (XC) als auch All-Mountain-Piloten ansprechen. Die "All Mountain"-Version wartet deshalb mit speziellen Teilen, einer maximalen Steifigkeit und erhöhter Bremsleistung auf, um auch bei den härtesten Einsatzbedingungen zu glänzen.
Schalt- und Bremshebel: Mittels "I-Spec", dem neuen integrierten Befestigungssystem, können die Hebel mit nur einer Schelle miteinander verbunden und individuell eingestellt werden. Das Gewicht der Rapidfire-Schalthebel-Kombi beträgt 197 Gramm.
Schaltung/Umwerfer/Kassette: Das neue Schaltwerk wirkt sehr edel und schlicht und kommt im Vergleich zur Kurbel ohne glänzende Oberfläche aus. Außerdem hat es rund 20 Gramm abgespeckt und wiegt 177g. Wie bei den XT- und SLX-Gruppen kommt auch bei der XTR Kassette die überarbeitete Dyna-Sys-Technologie zum Einsatz, bei der eine engere Gangabstufung für geschmeidigere Schaltperformance und verbesserte Kraftübertragung möglich wird.
2-fach Kurbel: Die Neuauflage der legendären XTR Kurbelgarnitur ist in diversen Ausführungen von 2x10 bis 3x10 erhältlich. Ich habe die 2-fach Version mit 26/38 Zähnen gewählt, um in Verbindung mit dem großen 36er-Ritzel wirklich jede Steigung meistern zu können. Neben dem engeren Q-Faktor und engeren Kettenlinie (46,8mm statt 50mm) glänzt die Top-Kurbel mit einer speziellen Formung der Zähne und der "Dual Spike"-Technologie, wodurch das Schalten auch unter großer Last erleichtert wird.
Bremssystem: Die neuen XTR-Stopper sind mit der nagelneuen "Ice-Tec"-Kühltechnologie ausgestattet. Durch die Reduzierung der Wärmeentwicklung soll eine konstante Bremsleistung ohne Fading erzeugt werden. Da meine Laufräder nicht als Centerlock-Version verfügbar sind, konnte ich die Alu-Stahl-Hightech-Bremsscheiben nicht verbauen und griff auf rustikale 203mm XT-6-Loch-Bremsscheiben zurück. Das Gewicht der Bremse (ohne Scheibe) beträgt 265g.
AM Pedale: Die Käfig-Pedale verfügen über eine deutlich größere Kontaktfläche als die neuen CC-XTR-Pedale und bieten auch bei ausgeklicktem Schuh einen sicheren Stand in technischen Passagen. Das Achsen-Gehäuse wurde oval ausgeführt, wodurch das Pedal über sehr gute Selbstreinigungseigenschaften verfügt. Das Gewicht beträgt 398g pro Paar.
Testfazit
Die Montage der XTR-Komponenten erfolgte dank der ausführlichen Shimano-Anleitungen völlig problemlos. Die Schaltvorgänge erfolgen vorne und hinten extrem weich und schnell. Selbst unter Volllast ist ein präzises Schalten ohne schlechtes Gewissen jederzeit möglich.
Auch die Hebelergonomie und Einstellbarkeit der 1-Finger-Bremshebel sind vorbildlich. Die (im Vergleich zur alten XTR enorme) Bremsleistung bleibt damit ohne großen Krafteinsatz des Zeigefingers gut zu dosieren. Trotz Angstbremsen konnte ich kein Fading provozieren und fand die Bremse für meine 70kg stets mehr als ausreichend dimensioniert. Etwas nervig fand ich das Gequietsche bei Nässe. Möglicherweise harmonieren die XT-Scheiben mit den XTR-Belägen nicht optimal..
Auch das Entlüften der neuen Shimano-Scheibenbremsen-Technologie soll sehr einfach funktionieren. Das kann ich allerdings nicht bestätigen, da sich in den letzten sechs Monaten an dem überragenden Druckpunkt nichts verändert hat.
Mavic Deemax Laufräder
Früher als reine Extrem-Downhill-Laufräder konzipiert, sind die Deemax Laufräder mit ihrem mittlerweile deutlich geringeren Gewicht auch für's Freeride-Bike geeignet. Sie können mit UST Reifen und auch mit normalen Reifen-Schlauchkombinationen gefahren werden. Ich habe mich für die dritte Version - normale Reifen mit Tubelessmilch - entschieden, und kann diese Kombi wegen der erhöhten Pannensicherheit im Falle eines Durchschlags und dem eingesparten Reifengewicht empfehlen.
Das Vorderrad kann sowohl mit Schnellspannern als auch mit Steckachse gefahren werden. Die entsprechenden Adapter zum Umbauen des Vorderrades liegen bei. Das Hinterrad gibt's wahlweise in 9/12x135-, 12x150-, oder X12-Version.
Speichenzahl: vorne 28, hinten 32
VR-Version: 6-Loch - Steckachse (20 x 110 mm)
HR-Versionen: 6-Loch - Schnellspanner/Steckachse (12 x 135 mm), 6-Loch - Steckachse (12 x 150 mm)
HR-Zubehör: X-12-Adapter mit 142mm Klemmbreite
Gewicht: 2.160g (HR 1150g, VR 1010g)
Testfazit
Die Laufräder fühlen sich sehr stabil und seitensteif an. Der Freilauf funktioniert leichtgängig, seine vier Sperrklinken öffnen und schließen schnell. Einen groben Einschlag im Bikepark und unzählige Steinschläge am Tremalzo haben Speichen und Felgen unbeeindruckt überstanden.
Schwalbe Muddy Mary
Schwalbes Muddy Mary Reifen sind wahre Grip-Monster, die bei jedem Untergrund richtig zupacken. Ich habe mich vorne für einen 2.35er Vertstar (ultimative Downhill-Mischung mit maximalem Grip und minimalem Rebound) und hinten für den 2.5er Trailstar (perfekte Haftung und ordentliche Rolleigenschaften) entschieden. Natürlich gehen Größe und Gummimischung auf Kosten des Rollwiderstands. Bergauf und im Flachen benötigt der Fahrer einiges an Muskelschmalz, damit die Fuhre auf Touren kommt. Bergab liegt man mit Mary allerdings in 90% der Fälle goldrichtig.
Obwohl es eine echte Tubeless-Version gibt, habe ich die normalen Reifen wegen des niedrigeren Gewichts gewählt und 60ml Tubeless-Milch pro Laufrad eingefüllt. Das erstmalige Abdichten war wegen der gerippten Gummilippe, die gegen ein Verdrehen des Reifens bei niedrigem Druck dienen soll, etwas mühselig. Es dauerte einige Minuten, bis die Zwischenräume der Gummirippen durch die Milch abgedichtet wurden.
Ausführung: Evolution Line
Reifentyp: Falt
Gummimischung: VertStar vorne, TrailStar hinten
Gewicht: 870g vorne (2.35), 990g hinten (2.5)
Testfazit
Unglaublicher Grip auf rutschigen Steinen, nassen Wurzeln und schrägen Slickrocks, dazu eine gute Selbstreinigung auf feuchten Untergründen. Bis dato absolute Pannensicherheit bei einem Reifendruck zwischen 1.5 und 1.8 Bar. Auch nach längeren Stehpausen muss nur minimal Luft nachgepumpt werden.
Marzocchi 66 RC3 Evo Ti
Die Marzocchi 66 RC3 Evo Ti ist eine völlig neue Gabel, die mit ihren Namensvettern relativ wenig gemein hat. Im rechten Holm findet sich eine Titanfeder und im linken die RC3 Evo-Motocrossdämpfungstechnik. Beim RC3 Evo handelt es sich um das weiterentwickelte Marczocchi Open Bath System. Zusätzlich zu den externen Einstellmöglichkeiten wie Zugstufe und Druckstufe erlaubt die RC3 Evo Kartusche eine individuelle Druckstufeneinstellung. Dazu können nach dem Öffnen der Kartusche - wie aus dem Motorrad-Rennsport bekannt - die internen Shims gewechselt werden.
Die wuchtige 66er Top-Gabel besitzt eine 8-Zoll-Postmount-Bremsaufnahme, eine überarbeitete 20mm-Schnellspann-Steckachse und nickelbeschichtete Standrohre, die kratzfester und glatter als die normalen schwarzen der günstigeren Modelle sind. Das Ansprechverhalten der neuen Gabel ist schon mit dem Serien-Set-up butterweich und arbeitet sehr linear, besitzt aber auf den letzten Zentimetern eine ausreichend hohe Progression, um nicht durchzuschlagen.
Federweg: 180mm
Rechter Holm: Titanfeder
Linker Holm: RC3 Evo
Bremsaufnahme: 8-Zoll Postmount
Schnellspanner: 20mm QR Stechachse
Gewicht: 2.795g (mit ungekürztem Schaft)
Testfazit
Diese Gabel sieht nicht nur extrem geil aus, sie funktioniert auch, wie man es sich von einer Freeride-Gabel erwartet. Mich überzeugten ihr feines Ansprechverhalten und die Federperformance bei kleinen Stößen bis hin zu großen Einschlägen. Trotz der großen Vielfalt an Einstellmöglichkeiten musste ich keine Wissenschaft draus machen. Die Lowspeed-Druckstufe und die Vorspannung blieben bei 70kg offen, die Luftkammer brauchte ebenfalls keinen zusätzlichen Druck, und ich legte auch an den internen Shims der Highspeed-Druckstufe keine Hand an. Wie vom "Freeride"-Magazin empfohlen, reichten sechs Klicks an der Zugstufe, und schon konnte es losgehen. Bis heute war für meinen eher zurückhaltenden Fahrstil keine Änderung notwendig. Ihr Preis ist mit € 1.199,- Liste sehr geschmalzen; in diversen Online-Shops allerdings unter € 900,- verfügbar.
Zitat Freeride 2/11: "Die Marzocchi 66 RC3 Evo Ti ist eine rundum gelungene Freeride-Gabel. Das Ansprechverhalten ist von Beginn an sehr gut. Die Federperformance ist geschmeidiger und feinfühliger als bei der Konkurrenzgabel Totem mit Stahlfeder. Die Steifigkeitswerte liegen subjektiv auf ähnlich hohem Niveau. Die effektive Druckstufendämpfung verhindert das Wegtauchen und ist für jeden Einsatzbereich tunebar. Die Kennlinie ist so, wie sie bei einer Freeride-Gabel sein sollte: Linear bis kurz vor Schluss mit einer schönen Endprogression."
Syntace Parts
- Syntace Vector 31,8 Carbon LowRider mit 740mm 12° (219g)
- Syntace Superforce 31.8 Downhill-Vorbau 45mm (139g)
- Syntace P6 Carbonsattelstütze 34,9mm Alu mit 450mm (243g)
- Syntace SuperLock2 38 Schnellspannsattelklemme mit Abstreifdichtung (44g)
- Syntace SuperSpin 1.5 Steuersatz integriert
- Syntace Rockguard 1 für den perfekten Schaltwerkschutz (28g)
- Syntace SCS 2 Kettenführung Type 1 für das 901er mit 2-fach (74g inkl. Schrauben)
Testfazit
Die zum Patent angemeldete SCS-Kettenführung (Syntace Chainguide System) ist dank der werksseitigen Vorbereitung am 901 Mk2 schnell zu montieren und funktioniert in jeder Lebenslage fast lautlos und relativ reibungsarm - selbst beim Rückwärtstreten und tiefen Einfedern im rauen Gelände. Einziger Wermutstropfen ist ihr hoher Einstandspreis mit € 112,-
Der RockGuard 2 schützt das Schaltauge und Schaltwerk stabil, ohne die perfekte Schaltpräzision oder den bequemen Radausbau in irgendeiner Weise zu mindern. Selbst ein harter Sturz im Bikepark vermochte das Schaltauge nicht zu biegen. Der Preis von € 34,50 ist äußerst fair kalkuliert.

Liteville 901 Mk2 | |
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Modelljahr: | Parts 2011, Rahmen 2010 |
Testdauer: | 6 Monate (ca. 60h) |
+ | extrem potentes Fahrwerk, trotz viel Federweg gut pedalierbar |
+ | durchdachte Anbauteile |
+ | angesichts des Federwegs ein sehr niedriges Rahmengewicht |
- | hoher Preis für Rahmensatz |
BB-Urteil: | oida, voi leiwand |
Mit einem 901er in Freeride-Ausführung den Waldbachsteig hinunter zu cruisen, ist vermutlich genau so "überzogen", wie mit einer 1.000er den Manhartsberg zu queren. Aber da steh ich drüber - Hauptsache, der Spassfaktor stimmt und ich tu mir nicht weh. Bergauf komme ich mit dem 901er jederzeit zum perfekten Krafttraining; denn obwohl die Geometrie für längere Anstiege optimiert wurde, vereiteln die fetten und klebrigen Schwalbe-Reifen sämtliche High-Speed-Rekorde. Talwärts kann ich es für meine Verhältnisse allerdings richtig krachen lassen, da Fahrwerk und Laufräder wirklich (fast) jede Unzulänglichkeit seitens des Fahrers kompensieren - von meiner missglückten Frontflip-Landung im Bikepark Samerberg einmal abgesehen. Egal, ob auf der Hausberg-Runde, am Gardasee, einem Bikepark-Ausflug oder beim Freeride-Marathon: das 901er läuft immer wie auf Schienen.
Ich würde mir das Rad jederzeit wieder genauso aufbauen... mit einer Ausnahme: eine hydraulisch versenkbare Sattelstütze muss unbedingt auf das Rad. Mittlerweile habe ich eine RockShox Reverb mit spezieller Syntace-Reduzierhülse für Liteville-Rahmen montiert und möchte diese Errungenschaft, gerade auf welligem Terrain, nicht mehr missen.