
Auf Achse: "Der letzte Jodler"
08.11.21 07:07 6.1442021-11-08T07:07:00+00:00Text: Gabriel WaringerFotos: Gabriel WaringerNo Bashing - Just Awareness: Gabriels Gravel-Abenteuer im Westen Österreichs endet mit einer Solo-Trutzpartie bei Dämmerung08.11.21 07:07 6.2692021-11-08T07:07:00+00:00Auf Achse: "Der letzte Jodler"
08.11.21 07:07 6.2692021-11-08T07:07:00+00:0020 Kommentare Gabriel Waringer Gabriel WaringerNo Bashing - Just Awareness: Gabriels Gravel-Abenteuer im Westen Österreichs endet mit einer Solo-Trutzpartie bei Dämmerung08.11.21 07:07 6.2692021-11-08T07:07:00+00:00Nachdem das Wiener Wetter in letzter Zeit ja nicht so berauschend gewesen ist, dachte ich mir, es wär' an der Zeit für eine kleine Auszeit am Land. Aber nicht an irgendeinem Land, nein: ins heiligste aller Bundesländer zieht es mich, und so packe ich das essenziell Wichtige, sprich mein Rad und Dazugehöriges, ins Auto; Kofferraumdeckel zu und ab geht die Post.
Szenenwechsel: Die urbane Tristesse hinter mir gelassen, steige ich im Heiligen Land aus dem Wagen und es übermannt mich die Schönheit der Natur, die Klarheit der Luft und die Herzlichkeit der Menschen. Gut, letzteres ist gelogen - fährt man doch als Wochenendausflügler, als der ich mich mit meinem Wiener Kennzeichen oute, am Land etwa ähnlich hohe Beliebtheitswerte ein wie die Zeugen Jehovas. Man ist ob des Exotenstatus faszinierend und fremdartig zugleich, auf jeden Fall aber nicht ernst zu nehmen. Und ich weiß, wovon ich spreche, ich bin selbst am Land aufgewachsen.
Mir egal, ich bin ja nicht zwecks Socializing ins Land des ewig währenden Pistenausbaus gefahren, sondern um meine Leidensfähigkeit auf die Probe zu stellen, während ich mich dem schmerzvollen Wiegetritt bergauf hingebe und innerlich ein Stoßgebet gen Himmel sende: Bitte, Günther, lass oben keine Bergstation sein. Es gibt nämlich nicht vieles, das mich mehr stört, als Touristen am Berg - also nicht per se, so bin ich ja nicht, aber jene Sorte, die sich mit der Seilbahn auf 2.000 Höhenmeter hinauffahren lässt, um dort dann Kasknödelsuppe und/oder Weißbier literweise in sich hineinlaufen zu lassen und dies als “authentisches Erleben der Natur” zelebriert.
Um genau diesem Typus zu entfliehen, bin ich also auf das Horn gefahren, welches nach dem El Dorado im Heiligen Land benannt ist - gut, retrospektiv betrachtet vielleicht nicht die hellste Entscheidung, aber bei meiner Route würde ich zumindest fix niemanden treffen.
Normalerweise plane ich meine Ausfahrten in letzter Zeit immer mit Komoot - das ist recht praktisch und funktioniert nicht mal so schlecht.
Allerdings finde ich die Unterteilung in unterschiedliche Aktivitäten etwas willkürlich. Eine als “Gravel” geplante Strecke unterscheidet sich in meinen Augen nur marginal von einer “Road”-Aktivität und kann getrost mit dem Rennrad in Angriff genommen werden. Deshalb setze ich das Häkchen von Haus aus bei “MTB”, wobei es dann oftmals passiert, dass ich tatsächlich auf unbefahrbarem Terrain beziehungsweise Wanderwegen lande.
Wie auch in diesem Fall, denn am Ende des Weges angelangt, war ich noch lange nicht zu Hause: Mitten am Berg stehe ich also vor einem “Fahrradfahren verboten!” Schild.
Stört mich nicht wirklich, denn, wie wir wissen: variatio delectat, und so eine Tragepassage bringt dich an Orte, wo du sonst nicht hingekommen wärst.
Der vor mir liegende Abstieg über knapp 400 Meter wäre ohnehin nicht fahrbar, denn der frische Schnee sowie die extreme Hanglage würden mir einiges an nicht vorhandener Technik abverlangen. Also stapfe ich gut gelaunt mit dem Rad auf der Schulter den Wanderweg talwärts.
Nach knapp einer halben Stunde passiere ich einen Stall, der offen steht, aber keine Tiere oder deren Manager - also Bauern, meine ich - zu sehen. Nur in der Ferne vernehme ich das unheilvolle Aufheulen eines Fichtenmopeds. Texas Chainsaw Massacre, Leatherface schießt mir ein. Blödsinn. Wahrscheinlich ist einfach ein Downhill-Rennen im Gange und das sind die Fans.
Zwei mindestens gleichwertig dumme Ideen konkurrieren in meinem Kopf um Plausibilität, und wie ich so vor mich hin wandere, komme ich besagtem Motorengeräusch sowie zwei Gestalten näher. Wohlwollend hebe ich die Hand, “Griass Enk!”. Doch erwartet mich nicht wie gewohnt eine gängige Replik. Man wolle meinen Ausweis sehen, entgegnet mir der Ältere.
Ob der etwas ruppigen Art verstört, versuche ich aufzuklären: Es müsse sich um ein Missverständnis handeln, ich plane nicht, im kürzlich passierten Chalet zu nächtigen, habe auch gar keine Reservierung.
Seltsamerweise trägt meine Richtigstellung keineswegs zur Klärung der Situation bei, nein. Der Mann (oder die bärtige Lady) beginnt mich fotografisch mithilfe seines gezückten Smartphones (Cat Phone, Model: S40 - schlechte Kamera, dafür quasi unkaputtbar) zu dokumentieren. Ich hatte nicht mit einem Interview gerechnet, war schlecht frisiert, nicht wirklich in der Stimmung für ein schnelles TikTok Video und wollte endlich erfahren, was hier gespielt wurde.
"Du bisch do min Mauntenbaik owagfoahn, desch hon wia glei gseng! Und jiatz kriagsch a Problem, i bin do da Grundbesitza!” dringt es lautstark an mein überraschtes Ohr.
Gut, ein harmloses Missverständnis also. "Nein, ich bin nicht gefahren, aus einem einfachen Grund, nämlich weil das ein Wanderweg und faktisch nicht befahrbar ist, außer man hört auf den Namen Vali Höll."
Nein, nein! Er lasse sich nicht blenden - er sei im Recht und ich ein widerwärtiger Rechtsbrecher, der zur Rechenschaft gezogen werden müsse. Zu diesem Zweck zückt der Landwirt erneut das Handy, um einen weiteren Freund - seines Zeichens Polizist - herbeizurufen, auf dass dieser sich am unteren Ende des Weges meiner annehme.
Sämtliche Einzelheiten dieses (erst im Nachhinein heiteren) Zusammentreffens auszuführen, würde den Rahmen sprengen, deshalb begnüge ich mich mit einer kurzen Zusammenfassung:
Das Unfassbare
Bikeboard X-FaktorDer Mann mit Bart und der Mann mit Schnittschutzhose erklären mir, dass ich offensichtlich vor ihren entsetzten Augen gesetzeswidrig mit dem "Mauntenbaik” über ihre Wiese gepflügt sei.
Ich weise geduldig darauf hin, dass sich das Rad auf meiner Schulter, und nicht, wie für Radfahrer üblich, zwischen den Beinen befindet - aus zuvor angeführten Gründen (1. auf Wanderweg nicht gestattet; 2. zu steil für Normalsterbliche).
Diese - die Herren offenbar nicht zufriedenstellende - Ausführung meiner Sicht der Dinge ignorierend, fordern sie des Weiteren, ich möge mich wieder zurückbegeben, denn ich dürfe ihren Grund nicht betreten - obwohl ich mich nach wie vor auf einem offiziellen Wanderweg befinde, wohlgemerkt.
Im Laufe des Gesprächs zeigt sich Mann mit Schnittschutzhose allerdings geneigt, kulanterweise ein Passiergeld in Höhe von € 100,- zu akzeptieren - für die "Instandhaltung des Weges”, wie er meint. Ich antworte, dass mir der Betrag willkürlich hoch angesetzt scheint, und überdies hinaus der Kuhsteig seit dem frühen 18. Jahrhundert keine fachmännische Instandhaltung mehr erfahren hat. Außerdem: dass dies Erpressung sei, denn ich bezweifelte, dass er mir eine Rechnung mit ausgewiesener Mehrwertsteuer ausgestellt hätte.
Ja, dann möge ich mich schleichen, denn mit solchen wie mir hätten sie schon des Öfteren zu tun gehabt und dabei - zwei Augenpaare richten sich vielsagend auf die Motorsäge - "noch immer gewonnen"...
Auf der Alm, da mag es vielleicht keine Sünde geben,
aber arme Sünder gibt's genug.
Da mir eine friedliche Lösung dieser Situation immer unwahrscheinlicher erscheint, wiege ich meine Optionen ab: Soll ich einfach an den beiden Männern vorbeigehen und das angedrohte Rendezvous mit der Exekutive unten am Forstweg riskieren? Ich bin eindeutig im Recht - habe mir nichts zuschulden kommen lassen, also können die Vögel gerne rufen, wen sie wollen. Oder pfeif' ich drauf und finde einen anderen Weg zurück ins Tal?
Der immer näher rückende Einbruch der Dunkelheit und die Tatsache, dass ich keine Lichter dabei habe, lassen mich zur zweiten Option tendieren. Und als ich so den Berg wieder hoch stapfe, in Begleitung des Bärtigen, denke ich mir, welch seltsames Bild das für Außenstehende abgeben mag, unsere kleine Prozession am Berg.
Ich verabschiede mich an der vermeintlichen Grundgrenze und schreite flotten Schrittes weiter. Amüsiert denke ich mir: "Auf der Alm, da mag es vielleicht keine Sünde geben, aber arme Sünder gibt es genug.”