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California Dreaming YT 2022

California Dreaming YT 2022

13.03.23 09:53 4.812Text: gabriwa
Gabriel Waringer

Name: Gabriel Waringer Alter: 33 Jahre Größe: 183 cm Schrittlänge: ehrliche 843 mm Gewicht: ~ 82kg Fahrstil/ -können: Ein Gravelbike ersetzt (k)ein MTB!

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Fotos: gabriwa
Unser rasender rassiger Reporter Rudi Rüssel Gabriwa und sein YT Szepter auf Abwegen! Grenzgänger, Rebellen, Sieger der Herzen! Zwei Wochen Bikepacking mit Höhen und Tiefen an der Westküste der USA. Inklusive: Goat Heads, Taranteln und jeder Menge Burritos.13.03.23 09:53 6.194

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13.03.23 09:53 6.1948 Kommentare gabriwa
Gabriel Waringer

Name: Gabriel Waringer Alter: 33 Jahre Größe: 183 cm Schrittlänge: ehrliche 843 mm Gewicht: ~ 82kg Fahrstil/ -können: Ein Gravelbike ersetzt (k)ein MTB!

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gabriwa
Unser rasender rassiger Reporter Rudi Rüssel Gabriwa und sein YT Szepter auf Abwegen! Grenzgänger, Rebellen, Sieger der Herzen! Zwei Wochen Bikepacking mit Höhen und Tiefen an der Westküste der USA. Inklusive: Goat Heads, Taranteln und jeder Menge Burritos.13.03.23 09:53 6.194

Kalifornien - Sehnsuchtsort und Utopie zugleich. Der Bundesstaat an der Westküste der USA ist in etwa gleich groß wie Schweden und trägt mit seiner Wirtschaftsleistung knapp 14,7% zum Bruttoinlandsprodukt der gesamten Vereinigten Staaten bei. Man kennt den Golden State, denn als kulturelles Exportgut verkörpert er den “American Way of Life” wie kein zweiter Bundesstaat.

Das habe ich mir zumindest bis vor Kurzem gedacht, doch ein zweiwöchiger Bikepacking-Trip hat gezeigt, dass Schein und Sein oft weiter auseinander liegen, als man es für möglich halten möchte. Aber eines nach dem anderen...

 Kalifornien - Sehnsuchtsort und Utopie zugleich.  

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United States of YT

Hand aufs Herz: Das Leben eines Bikeboard-Redakteurs ist hart und entbehrungsreich. E-MTB Challenge im Salzkammergut, (unfreiwilliges) Bergwandern in Kitzbühel oder sinnloses Rundendrehen im Bahnradstadion (R.I.P.) - wir sind uns für nichts zu gut!
Deshalb habe ich ohne groß zu lamentieren die große Bürde auf mich genommen, mich extra für den Product Launch des neuen Szepter Gravelbikes in die Business Class der Austrian zu zwicken. Den strapaziösen Transatlantikflug mit Champagner und Fußmassagen habe ich fast nicht durchgedrückt, aber ich bin hart im Nehmen. Alles für das Board.

Bei der Gelegenheit gilt es für mich, die Gelegenheit beim Schopf zu packen und Business mit Pleasure zu kombinieren, sprich: Zwei Wochen Urlaub dranhängen und das Land auf eigene Faust erkunden. Individualtourismus und so. Auf dem Rad. Warum nicht? YT stellt mir freundlicherweise das geile Szepter kostenlos zur Verfügung und ich schaue, was das Rad im Stresstest zu leisten vermag.

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Der Plan: Ambitioniert

Mein Startpunkt liegt in San Clemente, einer relativ jungen und rasant wachsenden Community am Traumstrand zwischen Long Beach und San Diego. Ich habe mich die Wochen vor dem Trip intensiv mit Routenoptionen beschäftigt - dank Komoot funktioniert das recht easy - und so ist die Idee entstanden, vom Süden des Landes bis zum Yosemite National Park zu fahren. Entlang der Sierra Nevada, sicherlich ein unvergesslicher Trip im bergigen Hinterland des Golden States. Von dort führt der Weg weiter nach San Francisco - ein wenig Sightseeing und die obligatorische Querung der Golden Gate Bridge, bevor ich die Rückreise nach San Clemente entlang des Pacific Coast Highways antrete.

Probleme: Einige

“You are going to die, boy!” sind nicht unbedingt die Worte, die man hören mag, wenn man seine Pläne mit Einheimischen teilt. Josh schüttelt den Kopf; für ihn steht es außer Frage, dass die Tour zum Scheitern verurteilt ist: “Es gibt kein Wasser dort oben, Versorgungsmöglichkeiten ebenso wenige, und wenn du tatsächlich abseits der Straßen fahren willst, wirst du von Bären, Luchsen und sonstigen Tieren heimgesucht.”

Ich habe eigentlich keine Lust auf Klapperschlangen, Skorpione oder die Taranteln, die im September gerade Saison haben und deshalb beinahe überall anzutreffen sind. Das größte Problem allerdings stellt die Hitze dar. Regen ist in diesen Gefilden ohnehin die Ausnahme; außer in Form eines spärlichen Niederschlags im Winter ist hier quasi nie damit zu rechnen. Seit Wochen hat eine Hitzewelle das Land fest im Griff - der Gouverneur hat den Notstand ausrufen lassen.

Zeit für Plan B

Ich versuche im Gespräch mit Einheimischen meine Optionen abzuwägen, jedoch stellt sich schnell heraus, dass hier niemand das Konzept “Bikepacking” zu kennen scheint. Warum ich kein Auto nehme, damit käme man deutlich schneller herum. Kalifornien ist Zuzüglern nach dem zweiten Weltkrieg unter der Prämisse der uneingeschränkten Mobilität und billigen Grundstückspreisen schmackhaft gemacht worden - kein Wunder also, dass es heute so aussieht. Highways schneiden sich kreuz und quer durch das gesamte Land, die Großregion Los Angeles etwa fühlt sich an wie eine Mischung aus Kleingartensiedlung und Autobahn. Niemand fährt hier Rad oder geht zu Fuß. Später werde ich auch erfahren, warum. “Pismo Beach ist nicht übel”, meint James von der YT Crew; er würde mir das als Ziel nahelegen. Also auf nach Pismo Beach - wenn auch noch nie davon gehört.

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Final Check

Das Pressecamp ist vorbei, meine deutschen Kollegen packen ihre Sachen, ihr Flieger in die Heimat geht bald. Ich packe ebenfalls meine Sachen - in meine Restrap Taschen. Ich bin spät dran; heute stehen zwar nur etwas über 100 Kilometer zum Einrollen am Plan, allerdings habe ich keine Ahnung, was mich auf meinem Weg ins Landesinnere erwartet. Eine Reise ins Unbekannte startet, doch zuvor muss ich noch schnell zum letzten Check in die YT Mill.

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Joey und Frank aus Forchheim lassen es sich nicht nehmen, sich höchstpersönlich von der Fahrtauglichkeit meines Szepters zu vergewissern - mein verrückter Plan ist jedenfalls etwas Exotisches. Das Thema Bikepacking ist im Entwicklungsprozess des Bikes nie ein Thema gewesen, und jetzt kommt ein schwindliger Österreicher mit solchen Ideen daher. "Hier, nimm dir die mit!” Mit diesen Worten reicht mir Joey noch Ersatzschläuche und Akkus für die Schaltung respektive Sattelstütze. Gegen Mittag rolle ich vom Parkplatz. Wenn alles gut läuft, werde ich erst in zwei Wochen zurückkehren.

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Tag 1: The First Cut is the Deepest

Nach bereits etwas über einer Stunde wünsche ich mich in den Flieger zurück nach Europa. Überdimensionierte, tonnenschwere Pick Up Trucks rauschen im Abstand von etwa einer Handbreite an mir vorbei, ungeachtet des entgegenkommenden Verkehrs - jeder Wagen könnte der letzte sein. Was habe ich mir da eingebrockt? Der Ortega Highway stellt die einzige Verbindung nach El Cariso Village dar, meiner vermeintlichen Eintrittskarte ins Gravelparadies um den Santiago Peak. Warum ich nicht auf dem San Juan Creek Trail unterwegs bin? Wie sich später herausstellen wird, ist das Faible für Private Property in Kalifornien besonders stark ausgeprägt - kaum verlässt man Hauptverkehrsadern, findet man sich vor geschlossenen Schranken mit eindeutigem Hinweis: Bis hierher und nicht weiter.

In El Cariso Village genehmige ich mir eine Pause - auf meine Bestellung wartend sitze ich einem Roadside Café und lausche den Gesprächen einer etwas in die Jahre gekommenen Motorradgang, die sich über Investmenttipps am Kryptomarkt austauscht und sich abfällig zu tagespolitischen Ereignissen äußert. Ich gönne mir ein Ginger Ale und esse schweigend die traurige Interpretation einer Pizza.

Den restlichen Nachmittag verbringe ich auf der North Main Divide Road, einer von vielen Fire Roads vergleichbar mit unseren Forststraßen, mit dem Unterschied, dass diese Wege in erster Linie zur Bekämpfung von Waldbränden angelegt worden sind.

Jedes Jahr leidet das Land unter diesen und in der letzten Dekade zeichnet sich ein beängstigender Trend ab: Die Sommer werden immer trockener, die Brände immer größer. Je weiter ich in die Abgeschiedenheit der Hügel eintauche, desto atemberaubender wird die Natur. Auf dem letzten Abschnitt rauf zum Santiago Peak holen mich zwei Jugendliche auf ihren Mini-Dirtbikes ein. Erstaunt bleiben sie stehen. Einen Radfahrer hätten sie hier noch nie angetroffen, ob ich mich verfahren habe, wollen sie wissen. Ich plaudere kurz mit ihnen, sie schütteln ungläubig den Kopf, wünschen mir alles Gute, starten ihre Maschinen und ziehen davon. Auf 1.600 Metern über dem Meeresspiegel habe ich einen herrlichen Überblick über die Landschaft; aufgrund der Inversionswetterlage füllen sich die Täler mit Wolken. Ein spektakulärer Anblick.

Auf dem Weg nach Corona holt mich die Dunkelheit ein. Ich verlasse die North Main Divide Road, biege ab auf die Eagle Road und hoffe, dass ich in der einsetzenden Finsternis keine gröberen Probleme zu erwarten habe.

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Tag 2: Albert Hammond hatte Recht.

Natürlich hatte das Motel, in dem ich zu nächtigen angedacht habe, keine normalen Zimmer frei, und so schlage ich am zweiten Tag meiner Odyssee in einem Raucherzimmer die Augen auf. Hätte ich zur nächsten Unterkunft weiterfahren sollen? Wahrscheinlich. Nach gefühlten 4 Stangen Marlboro 100 auf Lunge kratze ich meine enden wollende Motivation zusammen und schwinge mich heute zeitig in den Sattel.
Dank der frischen Morgenluft komme ich wieder halbwegs in die Gänge. Der Chino Hills State Park zeigt sich an diesem Tag von seiner schönsten Seite. Ich möchte heute noch Palmdale erreichen - ein ambitioniertes Vorhaben, gilt es doch, die gesamte San Gabriel Wilderness mit ihren Anstiegen zu durchqueren.
Zuvor gilt es jedoch noch durch Pomona zu kommen, einen von vielen Vororten von Los Angeles, der sich im Laufe des letzten Jahrhunderts allmählich mit seinen Nachbarortschaften zu einem Konglomerat aus Wohnsiedlungen, Industriearealen und Shopping Malls vereint hat.

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Ich befinde mich hier noch immer in der Los Angeles Metropolitan Area. Mit einem Einzugsgebiet in der Größe von Tirol, aufgeteilt auf 15 größere Städte, ein Flächenverband mit offiziell über 12 Millionen Einwohnern, stellt sie die zweitgrößte ihrer Art in Amerika dar, nur übertroffen von New York.

Über 30 Kilometer trennen mich noch von Glendora, doch bevor ich mich auf den Weg in die Berge mache, muss ich etwas frühstücken. Praktischerweise führt mein Weg an einer Einkehrmöglichkeit vorbei; für umgerechnet etwa 30 Euro gönne ich mir einen Kaffee, einen Muffin sowie einen Avocadotoast mit etwas Salat. Die Inflation hat auch vor den Staaten nicht Halt gemacht, und das bekomme ich, respektive meine Visakarte, beinhart zu spüren. Gerade in Kalifornien, wo das Leben ohnehin teurer als anderswo gewesen ist, leiden die Menschen besonders darunter, denn trotz seiner unglaublichen Wirtschaftsleistung leben hier rund 16% der Menschen unter der Armutsgrenze - im Greater Los Angeles County leben laut offiziellen Angaben etwa 69.000 Obdachlose.

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Gegen Mittag erreiche ich endlich die Glendora Mountain Road, eine gut ausgebaute und kaum befahrene Straße, der ich mich in den kommenden Stunden widmen werde. Ich genieße die Kalifornischen Passstraßen; da die meisten von ihnen erst nach der Motorisierung des Landes durch Ford und Co. errichtet worden sind, weisen sie meist keine nennenswerte Steigung auf: Zwischen 5 und 7 Prozent winden sich die Straßen wie schwarze Schlangen die Hänge hinauf.

Zusätzlich zu meinen zwei Trinkflaschen im Hauptrahmen habe ich einen Camelback mit 2,5 Liter Trinkblase dabei - dennoch muss ich jede Möglichkeit wahrnehmen, um Wasser aufzufüllen. Die Versorgungspunkte abseits der Städte sind rar, auf Quellen oder Bäche kann man sich allein schon aufgrund der Trockenheit nicht verlassen. Ich habe Glück: Camp Williams, ein kleiner Laden am East Fork San Gabriel Wilderness River ist geöffnet - die einzige Chance, weit und breit an Essen zu kommen will ich mir nicht entgehen lassen.

Nach einer kurzen Verschnaufpause erwartet mich der Endgegner für heute: Mount Lewis, eine stattliche Erhebung mit etwa 2450 Metern, gilt es zu bezwingen. Der Weg über die San Gabriel Canyon Road ist die bislang schönste Passstraße, die ich in meinem Leben gefahren bin. Die Sonne zwingt mich, erneut eine Pause einzulegen; entlang des Weges bemerke ich immer wieder parkende Autos, unweit davon kann man Musik und Stimmen vernehmen. Viele Menschen aus dem Großraum L.A. nutzen diese Naturreservate als Naherholungsgebiete. Trotz Ausnahmezustandes und striktem Feuerverbotes wird munter gegrillt und gefeiert. Ich suche mir eine ruhige Stelle und tauche meine Füße ins kühle Nass eines Zubringers des San Gabriel Rivers.

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Nur fünf Minuten kann ich mir gönnen, denn mir rennt die Zeit davon. Auch wenn die Temperaturen es nicht zeigen: Der Sommer ist fast vorbei, die Tage sind bereits merklich kürzer als noch zwei Monate zuvor. Gegen 19 Uhr setzt die Dämmerung ein, um 20 Uhr ist es stockfinster. Während ich mich die Passstraße hocharbeite, bemerke ich, wie sich plötzlich eine Wolkenfront vor mir bildet. Ich befinde mich zwar erst auf 1600 Metern Höhe, aber der Wetterumschwung kommt so unerwartet, als wäre ich in den Alpen. Innerhalb von Minuten zieht es zu und schwere Regenwolken verheißen nichts Gutes. Noch bevor ich die ersten Tropfen realisiert habe, beginnt es wie aus Kübeln zu schütten. Ich muss stehenbleiben und krame nach meinem Lebensretter in Form der Castelli Idro 2, einer Jacke, die ich nicht genug loben kann. Ich suche Schutz unter einem Baum - vielleicht ist es nur ein kurzer Schauer? Nach einer Viertelstunde wird mir klar, dass ich das nicht aussitzen kann. Die Temperatur ist empfindlich gefallen, ich friere und muss weiter fahren - oder umdrehen? Ausgeschlossen. Das Wasser läuft in Strömen über den Asphalt, ich erreiche einen für Autos gesperrten Abschnitt, in immer kürzeren Abständen muss ich kleinere und größere Vermurungen umfahren; Steine in der Größe von Fußbällen, losgelöst durch den Platzregen, knallen vor und hinter mir auf den Weg. Keine Chance - an ein Weiterkommen ist nicht zu denken. Ich brauche einen Plan B.

Ich entschließe mich letztlich gegen das Risiko des sicheren Todes durch Steinschlag und kehre um. Die kurze Passage im Regen hat mich meine gesamte Energie gekostet, ich zittere aufgrund der Kälte und der Überanstrengung und suche energisch nach einer Lösung für meine Misere. Crystal Lake Campground, 1.5 Miles - Halleluja!

Völlig durchnässt und miserabel finde ich mich im Cafe Trading Post wieder. Ja, er hätte auch Hütten, die man mieten kann, sagt mir der Mann hinter dem Tresen. Ich muss mich zusammenreißen, dass ich vor Freude und Erleichterung nicht weine. Was für ein Tag.

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Tag 3: Meter Machen

Nach einer erholsamen Nacht in meinem privatem Blockhaus am Crystal Lake - Moment, das kommt mir bekannt vor - spaziere ich rüber zum Trading Post, um mir ein Frühstück zu gönnen.

Der Typ hinter dem Tresen hat einen eigenwilligen Akzent, auf Nachfrage stellt sich heraus, dass er Deutscher ist. "Du hast ja eine Federgabel an deinem Rennrad dran”, meint er. Ich schildere ihm die Details zum Szepter, er hört interessiert zu, "Damals in Deutschland, da habe ich mich auch mit Rädern beschäftigt, im Konkreten mit Gabeln - ich hatte da was am Start - wenn du willst, ich kann dir den Prototypen von damals zeigen, steht hinten im Schuppen.”

Der Mann, der sich später als Günter Koppelberg vorstellen wird, verschwindet kurz in besagtem Verbau und kommt wenige Augenblicke später mit einem Stück Zeitgeschichte heraus: Das mintgrüne Wings Demobike aus den frühen 90ern, komplett ausgestattet mit den heißesten Teilen, die es damals (nicht am Markt) gab. Highlight natürlich die Einarmschwinge aus Aluminium, gepaart mit der Sachs Scheibenbremsanlage sowie 24 Gang Gripshift-Schaltung. Mehr oder weniger ein direkter Vorfahre des Szepter und ebenfalls aus Deutschland - welch ein fantastischer Zufall!

Leider hat er das Unternehmen, kurz bevor es richtig losgegangen wäre, aus privaten Gründen hintanstellen müssen. Ein Jammer, denn die Fachpresse war bereits damals von dem neuen Patent überzeugt.

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So gern ich Günters Geschichten länger lauschen würde: Die Zeit des Aufbruchs naht. Ich möchte den Dawson Saddle möglichst schnell hinter mich bringen und nach dem gestrigen Fiasko ordentlich Meter machen. Ich verabschiede mich von Günter und Adam, dem Eigentümer des Campingplatzes, sie wünschen mir alles Gute und drücken mir die Daumen, dass ich keinem Berglöwen über den Weg laufe - immer wieder hört man von Angriffen auf Freizeitsportler, die in entlegenen Gegenden von diesen Raubkatzen getötet oder schwer verletzt werden.

Der Morgen ist klar, die kalte Luft lässt mich frösteln. Dass Kalifornien mit knapp 40 Millionen Einwohnern der bevölkerungsreichste Bundesstaat ist, merkt man hier draußen kaum. Natur, so weit das Auge reicht, dazwischen immer wieder verbrannte Erde, ganze Landstriche von Waldbränden verwüstet. Wie schwarze Stacheln ragen die verbrannten Baumstämme in den Himmel empor. Der Angeles Crest Highway übertrifft alle meine Erwartungen, das Paradebeispiel einer Traumstraße, breit, guter Asphalt und kaum Verkehr. Das Szepter fährt sich hier wie ein Rennrad, die breiten Reifen rollen dank entsprechendem Druck willig und schnell erreiche ich den Gipfel. Leider bleibt keine Zeit, den Ausblick gebührend zu genießen - mein Hammerhead erinnert mich daran, dass ich noch über 160 Kilometer vor mir habe.

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Mir wird etwas mulmig bei dem Gedanken, den gut einsehbaren Highway für einen Jeep Track verlassen zu müssen, aber der Abkürzer über die Big Rock Creek Road spart Zeit, also habe ich fast keine Wahl. Mit einem Dreh ist die Gabel offen, die vollen 40 Millimeter Federweg stehen mir zur Verfügung. Ich lasse den Sattel runter und weiter geht die Reise nach Palmdale.

Ein Thema, dessen ich mir nicht bewusst gewesen bin, sind die enormen Distanzen, die es zurückzulegen gilt. Die Reise von einer Stadt in die nächste dauert nicht selten Stunden. Dazwischen gibt es, wenn man Glück hat, nichts außer Kakteen und Gestrüpp.

Auf dem trostlosen Weg zwischen Palmdale und Lancaster befindet sich ein riesiger Militärflughafen. Lockheed Martin hat hier eine Niederlassung, das Unternehmen mit Spezialisierung in Luftfahrttechnik hat im Jahr 2008 Verträge mit der Regierung in Höhe von 36 Milliarden Dollar abgeschlossen. Als Referenz: Das entspricht in etwa 10% des Bruttonationalproduktes Österreichs im selben Jahr.

Die Tristesse Palmdales wird nur durch die Ödnis namens Lancaster übertroffen. Eine willkürliche Aneinanderreihung verwahrloster Blocks, dazwischen zugemüllte Straßen. Ohne abzusteigen, lasse ich diesen Moloch hinter mir, meine erste Pause an diesem Tag wird an einer Tankstelle an der Elizabeth Lake Road in Leona Valley sein. Obwohl die Gegend nur unwesentlich höher liegt als Palmdale, fühlt man sich wie in einer anderen Welt. Einer Welt, in der die Zeit irgendwann in den 70ern stehen geblieben zu sein scheint. Eine Ranch reiht sich hier an die nächste, Pick Up Trucks dominieren das Straßenbild und ich rechne jeden Moment entweder mit Postkutschen oder mit Cowboys - oder beidem.

Seit 2013 ist der Lake Elisabeth komplett ausgetrocknet. Wie Frösche sitzen die Häuser an den Hängen und starren auf den staubigen Grund, wo eigentlich Wasser sein sollte. Wenige Kilometer weiter hat eine Schlammlawine, ausgelöst durch den Platzregen vom Vortag, die Straße verschüttet. Auf Nachfrage gestattet mir die Polizistin die Weiterfahrt, sie hätte allerdings wenig Hoffnung für mich, der Schlamm sei stellenweise über drei Meter hoch und die Aufräumarbeiten seien noch nicht abgeschlossen. Unverbesserlicher Optimist, der ich bin, fahre ich weiter - es ist ja nicht so, als hätte ich die Wahl.
Nach zehn langen Stunden ohne Mahlzeit erreiche ich endlich Lebec. Ich bin froh, diesen Tag überstanden zu haben.

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Tag 4: Die schlechte Entscheidung

Mein Körper schmerzt, ich habe seit Tagen nicht gut geschlafen, meine Ernährung ist katastrophal. Nicht der beste Start in den Tag. Das Prozedere ist jeden Tag gleich: Der Wecker läutet gegen sieben, ich kämpfe mich aus dem Bett. Meine elektronischen Geräte sind geladen, ich packe alles in meine Taschen. In der Rahmentasche habe ich Kabel, Powerbank und Regenjacke. Die Satteltasche ist für getragene Kleidung, vorne in meiner Lenkertasche habe ich eine frische Garnitur verstaut sowie mein Beauty Case, sprich: die Zahnbürste.
Das Leitungswasser kann man eigentlich nicht saufen, aber ich habe natürlich das ganze abgefüllte Wasser in der Nacht verbraucht, also bleibt mir nichts anderes übrig, als meine zwei Flaschen damit aufzufüllen; zumindest bis zur ersten Tankstelle sollte es reichen.

Heute steht ein spezieller Abschnitt auf dem Plan, ich möchte am Abend Santa Barbara erreichen. Zum ersten Mal habe ich das Glück, bei Freunden von Freunden von Freunden Herberge zu finden - ein Highlight, dem ich entgegenfiebere. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

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In Frazier Park finde ich durch Zufall ein vegetarisches Restaurant - ein Geschenk des Himmels! Zum ersten Mal seit Tagen richtiges Essen. Natürlich gönne ich mir nach dem ausgezeichneten I Love Breakfast Burrito noch ein Super Power Oatmeal - wer hat, der kann.

Die ersten Kilometer nach der Labe sind mit Vorsicht zu genießen; nur ungern möchte ich mich von meinem 40 Dollar-Frühstück vorzeitig verabschieden. Beflügelt vom Anblick der frisch asphaltierten Lockwood Valley Road vergesse ich meine morgendlichen Zweifel und bin absolut im Flow. Gegen Mittag erreiche ich den Maricopa Highway. Eigentlich erwarte ich eine Tankstelle, doch hier, inmitten der Wildnis, finde ich nur eine Feuerwehrstation, die nicht besetzt zu sein scheint. Ohne Bedenken setze ich den Weg fort. Ich habe bereits die Hälfte des Tagespensums geschafft, der Großteil der Höhenmeter ist erledigt - mein Trinkrucksack ist zwar leer, aber ich habe noch immer knapp einen Liter in den Trinkflaschen am Rahmen.

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Der sichere, aber etwas längere Weg würde mich entlang des Maricopa Highways in den Süden bis nach Ojai und dann über Capinteria und Montecito nach Santa Barbara führen. Ich entscheide mich bei Kilometer 64 jedoch für eine alternative Route. Die Verlockung, mir einen Weg quer durch die Wildnis von Matilija zu bahnen, um dann über die Gibraltar Road von Norden in die Stadt hinabzuschießen, ist einfach zu groß.

Laut Komoot handelt es sich bei der Potrero Seco Road um einen Trail der Kategorie S2, also mittelschwer. Ich bin zuversichtlich, denn mit dem ASTM 3 zertifizierten Szepter sollte das ein Kinderspiel werden. Wie erwartet, gestaltet sich das Vorankommen auf dem Trail deutlich schwieriger als auf der sauber asphaltierten Straße: Die anfangs deutlich erkennbare Fahrspur ist nach kurzer Zeit kaum mehr erkennbar, aus dem Double Track wird ein Single Track, der sich allmählich zur Gänze verliert, und ich finde mich auf einem ausgewaschenen Wanderweg wieder. “Wenn du ein Rasseln hörst, ist das wahrscheinlich eine Klapperschlange - am besten suchst du dann das Weite, mit denen ist nicht zu spaßen”, ich erinnere mich an Josh’s Ratschlag. Während ich langsam, aber sicher nervös werde (merke: je mehr Taranteln dir über den Weg laufen, desto nervöser darfst du werden) erkenne ich in der Ferne den Gipfel des Monte Arido - Sehnsuchtsort und Hassobjekt zugleich. Während ich die letzten traurigen Reste meines Wasservorrates verbrauche, merke ich, dass die Situation nicht zum ersten Mal, aber diesmal dafür wirklich ernst ist. Punkt 1: Kein Wasser in der Wildnis ist nicht gut. Punkt 2: Wildnis ist generell schwierig, vor allem bei unbekannten gefährlichen Tieren.

Da es für eine Umkehr bereits zu spät ist, bleibt mir gar nichts anderes übrig, als den Weg fortzusetzen, obwohl alle Anzeichen dagegen sprechen. Die Euphorie währt nur kurz, als ich endlich den vermeintlich letzten Gipfel des Tages erreicht habe, denn gleichzeitig stehe ich am Ende des (kaum noch vorhandenen) Pfades. Wie immer drängt die Zeit - ich muss eine Entscheidung treffen. Diese fällt auf den Abstieg über die Pendola Jeep Road, welche allerdings nur auf Komoot existiert. In Wirklichkeit ist hier seit mindestens 20 Jahren kein Jeep mehr gefahren. Ich bin zuversichtlich, den KOM für die 17 Kilometer lange Abfahrt aufgestellt zu haben, denn beim Durchqueren des Gestrüpps bin ich des Öfteren über frische Spureneines Tieres gestolpert, das ich der Größe nach zu urteilen als Bären einstufen würde. Ich kann bestätigen: Der Anblick kickt anders als ein Energie-Gel und wirkt auch deutlich länger.

Am Fuße des Monte Arido erwartet mich der Middle Santa Ynez Campground, doch jegliche Hoffnung auf Trinkwasser ist vergebens: Das Camp ist natürlich geschlossen, und das dem allgemeinen Zustand nach zu urteilen schon seit einigen Jahren. Zu diesem Zeitpunkt habe ich seit gut fünf Stunden kein Wasser mehr, meine Kräfte (wenn man so will) schwinden und ich spiele mit dem Gedanken, das Wasser des Santa Ynez Rivers zu trinken, der stellenweise noch als Pfütze erkennbar ist. Glücklicherweise entscheide ich mich dagegen und erreiche mit tatsächlich letzter Kraft die East Camino Cielo Road, den Kamm der Santa Ynes Mountains.

Während die Nacht langsam hereinbricht, versuche ich halbwegs sicher die Stadt zu erreichen. Die Nachtabfahrt über die Gibraltar Road wird für immer ein unvergessliches Erlebnis bleiben. Nach sieben endlos langen Stunden in der Wildnis erreiche ich die Walnut Avenue, wo mich Adam bereits erwartet.

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Tag 5: Rest Day = Best Day

Heute läutet kein Wecker, ich gönne mir eine Auszeit. Adam und Kai haben mir angeboten, zwei Nächte bei ihnen zu bleiben - ein Angebot, das ich unter keinen Umständen ausschlagen möchte. Ich fahre mit Adam zur UCSB, wo er einen kleinen Radshop leitet. Mein Ritt auf der Kanonenkugel vom Vortag hat mich eine Speiche gekostet, ansonsten hat das Rad keine Schrammen davongetragen - ich kann noch immer nicht glauben, wie viel Glück ich gestern hatte. Der Strand von Isla Vista lockt, die Sonne strahlt vom Himmel, ich habe Zeit - eine großartige Kombination.

"Hast du am Abend was vor? Heute steht der Boom Boom Ride an, komm mit!” Adam schaut mich erwartungsvoll an. Wie sich später herausstellen wird, ist Boom Boom der Name eines Bike Shops hier in Santa Barbara, einer der Hotspots der Radszene hier. Mit meinem Carbon-Gravelbike in kompletter Racemontur fühle ich mich leicht deplatziert. Neben all den alten, auf Hochglanz polierten Mountainbikes aus Stahl entspreche ich dem typischen Klischee eines Roadies. Ich reiße mich zusammen und verzichte auf die ansonsten obligatorische Start-Attacke.

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Tag 6: Föhnfrisur Deluxe

Am darauffolgenden Morgen fühle ich mich zum ersten Mal seit Tagen wieder halbwegs ausgeruht und frisch. Die Beine sind ansprechbar, weder mein Kreuz noch sonstige Leiden trüben mir die Laune. Dennoch fällt es mir nicht leicht, meine neuen Freunde so schnell wieder zu verlassen. Gerne wäre ich länger geblieben, doch wie sagt man so schön: der Weg ist das Ziel. Auf dem Programm für heute steht eine entspannte Rollerpartie, auf 165 Kilometern erwarten mich nicht einmal 2000 Höhenmeter - eigentlich ein zweiter Ruhetag.
Ich verlasse Santa Barbara via Goleta Richtung Norden, aber nicht ohne mir noch sicherheitshalber ein zweites Frühstück genehmigt zu haben. Wenn der Großteil des Tages aus Radfahren besteht, muss man glücklicherweise keine Kalorien zählen. Die Bergstraße über die nördlichen Ausläufer der Santa Ynez Mountains heißt North San Marcos Road, ein wahres Juwel einer Straße - man kann im oberen Abschnitt die Painted Cave Road dranhängen und erhält so die vermutlich schönste Passage über diesen Berg.
Wenige Kilometer später finde ich mich auf dem Chumash Highway wieder; die einzige Möglichkeit, meine Route hier weiter zu verfolgen, ist ein Wechsel auf die stark befahrene Straße.

Die Verkehrssituation in Kalifornien ist, wie eingangs bereits erwähnt, recht verzwickt. Nicht nur die Städte werden hier vom Automobil dominiert; im Hinterland ist es, wenig überraschend, nicht anders. Während sich die Situation in urbanen Ballungsräumen langsam zum Besseren wendet, spürt man in der Prärie nichts davon. So finde ich mich also auf dem Pannenstreifen einer Bundesstraße wieder, Trucks und SUV fetzen neben mir vorbei und ich bin erneut kurz davor, die Nerven wegzuschmeißen. Nach dem beinahe fatalen Fiasko in der Matilija Wildnis habe ich mir vorgenommen, keine Touren mehr im Gelände zu unternehmen - auf der Straße als Roadkill zu enden, ist aber auch keine wirklich gute Option. Es hilft nichts - Kopf runter, so weit rechts fahren wie möglich und reintreten, was geht. Manchmal wird meine “Spur” fast zwei Meter breit, meistens ist sie nicht viel breiter als mein Lenker und ich rolle quasi in der Bankette. Keine Ahnung, wie viele Glasscherben ich mir eingefahren habe, aber der Reifen leistet fantastische Arbeit und die Dichtmilch darin lässt mich ebenfalls nicht im Stich.

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Die Landschaft zieht an mir vorbei, ohne einen Eindruck zu hinterlassen. Ich fahre durch eine Ortschaft namens Solvang - unerwartet viele Tagesausflügler tummeln sich auf der Hauptstraße, die Ortschaft rühmt sich mit “authentischer Architektur” und “historischen Windmühlen”. Im Jahr 1911 wurde die Siedlung von Migranten aus Dänemark gegründet, mich erinnert es stark an Disneyland.
Dank des unnachgiebigen Gegenwindes komme ich nur schleppend voran, jeder Kilometer kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Hier draußen beginnt die Central Coast, eines der fünf großen Weinanbaugebiete des Landes. Tatsächlich hat Wein eine längere Tradition in dieser Gegend, als man glauben möchte - die ersten Weingärten werden einem spanischen Jesuiten zugeschrieben, der bereits 1683 auf Selbstversorger umgesattelt hat - kein Wunder, außer Saufen gab es hier vermutlich nicht viel zu tun, neben der Verbreitung des Wort Gottes natürlich.

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Neben Wein werden auf den weiten Ebenen allerlei Gemüsesorten angebaut. Da zur Zeit aber keine Erntesaison ist, herrscht auf den endlosen Straßen Stille. Ich fahre kilometerlange Felder entlang - was hier angebaut wird? Ich kann es nicht erkennen. Vielleicht sind es Erdbeeren, vielleicht ist es Kohl. Jedenfalls bestimmen Monokulturen das Bild; soweit das Auge reicht, nichts anderes als eine nicht enden wollende Aneinanderreihung von Feldern. Dass hier überhaupt etwas wächst, ist erstaunlich, der Boden gleicht feinem Sand - sowohl die Struktur als auch die Farbe lässt keinen Zweifel offen. Ohne aufwendiger Bewässerung und intensiver Düngung würde hier außer ein paar Büschen und vielleicht Kakteen gar nichts wachsen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreiche ich die nächste größere Ortschaft namens Santa Maria.
Keine Ahnung warum dieser Kaiser Roland so besessen gewesen ist von dem Ort, ich jedenfalls finde an der tristen Kleinstadt nichts und fahre unverzüglich weiter. Ein unglaublich ereignisloser, aber dennoch nervenaufreibender Tag geht dem Ende zu, die Sonne verabschiedet sich hinter dem Horizont im Westen und ich erreiche ein weiteres Mal ein unverhältnismäßig teures Motel, diesmal in Arroyo Grande.

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Tag 7: Déjà Vu

Am siebenten Tag, das wissen wir aus der Bibel, hat Gott geruht. Dass mir als mickrigem Sterblichen dieser Luxus nicht zuteil wird, liegt nicht zuletzt an meiner eigenen Sturheit. Warum ich unbedingt nach Pismo Beach fahren will, kann ich auch nicht erklären. Die Szenerie ist, wie soll man sagen... wie überall am Meer. Eine Stadt voller Pensionisten, am Strand Hotels und davor Sand und Wasser - im Prinzip wie Caorle.

In Ermangelung an Alternativen fahre ich fast dieselbe Strecke wieder retour Richtung Santa Barbara. Endlose Felder, auf denen ausschließlich Mexikaner zu sehen sind: der American Dream in seiner zynischsten Ausprägung.

Auf den zweiten Blick erscheint mir Solvang noch kitschiger vor als am Tag zuvor. Der Wind trägt mich dankenswerterweise schnell weiter und am Nachmittag stehe ich erneut kurz vor der Überquerung der Santa Ynez Mountains, dieses Mal in die andere Richtung. Und wie am Tag zuvor entpuppt sich dieser Abschnitt als wahres Juwel. Die Auffahrt über die Stage Coach Road weiter über die East Camino Cielo bis zum Chumash Painted Cave State Historic Park ist eine absolute Empfehlung an alle, die in der Gegend mit dem Rad unterwegs sind.

Eigentlich wollte ich für diesen Trip die App "Warmshowers” nutzen, im Prinzip eine Plattform vergleichbar mit Couchsurfing. Als Reisender hat das den Vorteil, dass man sich zum einen ziemlich viel Geld sparen kann, zum anderen, dass man die unterschiedlichsten Leute kennenlernt. Meine bisherige Erfahrung mit der App war leider geprägt von Absagen oder, wie in den meisten Fällen, das gänzliche Fehlen von Rückmeldungen. Ich habe versucht, Wochen zuvor mit potentiellen Hosts in Kontakt zu treten; von Erfolg gekrönt sind diese Versuchen selten gewesen. Heute aber habe ich das Glück, im Haus von Kacie und ihrem Mitbewohner übernachten zu können.
Natürlich erfordert es etwas Überwindung, bei wildfremden Menschen so einzufallen, allerdings ist meine Hemmschwelle nach einer Woche auf der Straße recht gering. Was alle UserInnen auf Warmshowers vereint, ist die Affinität zum Fahrrad. Jeder Host hat seine eigenen Geschichten zu erzählen und kann manchmal hilfreiche Tipps geben. Meine Gastgeberin berichtet von ihren letzten Touren und was sie in Zukunft gerne vor hätte - ich höre mit einem halben Ohr zu und verabschiede mich dann elegant in mein Schlaflager.

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Tag 8: Ventura Bike Hub

Mein Display am Handy leuchtet auf: "Wenn du Lust hast, kannst du in Ventura eine Nacht bei Chris bleiben, er hat sicher nichts dagegen!” Ich sitze gerade beim rituellen Frühstück in Santa Barbara, meiner neuen Wahlheimat, und schlürfe Kaffee, als mir Adam schreibt. Er hat seinen Bandkollegen von mir erzählt und dieser hat sich spontan bereit erklärt, mir zu helfen. Bingo!

Nachdem ich gut in der Zeit liege - mein Rückflug nach Wien ist erst in einer Woche geplant - kann ich es mir leisten, in Ventura einen Zwischenstopp einzulegen. Die Strecke von Santa Barbara dorthin ist alles andere als aufregend, größtenteils entlang der Küste. "Und wenn du durch Ventura fährst, schau bei Wilson im Ventura Bike Hub vorbei!”, setzt Adam nach.

Ich habe Wilson beim Boom Boom Ride kennengelernt, ein stiller Typ mit langen Haaren, einem Faible für Analogfotografie und Batik-Shirts, der Prototyp eines Dudes also. Gegen Mittag erreiche ich den Laden, ein zweistöckiger Bau an der South Ventura Avenue. Wilson begrüßt mich herzlich und zeigt mir die Örtlichkeiten. Der Ventura Bike Hub ist kein klassisches Fahrradgeschäft, sondern versteht sich mehr als Community Center, wo Menschen aus den unterschiedlichsten Schichten zusammenkommen können, um ihre Räder zu reparieren oder ganz allgemein in Austausch zu treten. Für viele stellt das Fahrrad die einzige Möglichkeit zur Fortbewegung dar; das öffentliche Verkehrsnetz ist zu schlecht ausgebaut und Autos können sich viele Menschen nicht leisten. Der Bike Hub möchte hier ansetzen und auch als Weg zu mehr Empowerment gesehen werden.

Oben im zweiten Stock lerne ich Chris kennen. Ich erzähle ihm von meiner bisherigen Reise. Als ich ihm von meiner Episode in der Matilija-Wildnis erzähle, muss er lachen - er hat dieselbe Strecke letztes Jahr im Winter genommen und es war ein Abenteuer. Er erzählt mir von einem verlassenen SUV mitten im Nirgendwo, der vermutlich auf kriminelle Machenschaften von Drogenkartellen zurückzuführen war, denn "dort draußen passiert verrücktes Zeug, Mann!” Früher sei er noch viel gefahren, sogar bei einem europäischen Team. Ich werde neugierig und möchte mehr erfahren. Wie sich herausstellt, sitze ich mit Chris Barton am Tisch, seines Zeichens ehemaliger Straßenprofi beim Team BMC.

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Tag 9: Pacific Coast Hellway

Viele Touringfahrer reisen nur an die Westküste, um dann den viel zitierten Pacific Coast Highway zu befahren. Ich kann davon nur abraten. Warum, ist schnell erklärt:
Nomen est Omen - es ist ein Highway, man “teilt” sich die mehrspurige Straße mit Autos, Trucks, und LKWs. Allein der Lärmpegel ist abschreckend, konstant brummt die Autokolonne an einem vorbei, das Rauschen der Pazifikküste hat gegen diese Kulisse keine Chance.
Um diesem Moloch weitestgehend auszuweichen, lege ich meine Route durch die Santa Monica Mountains und den Point Mugu State Park. Vor allem nördlich von Malibu scheint es ein ausgedehntes Netzwerk aus Fire Roads und Singletracks zu geben. Die Yerba Buena Road ist ein weiteres Glanzstück, vom Meeresniveau führt eine gewundene Straße auf knapp 700 Meter Höhe. Auf dem Plateau hat man eine herrliche Aussicht hinaus aufs Meer, die Landschaft wirkt trotz ihres kargen und trockenen Auftritts sehr einladend.

Ich möchte via Castro Motorway über Saddle Peak bis nach Topanga, doch mein Plan findet ein jähes Ende. Egal, welchen Feldweg ich einschlagen will, überall empfängt mich das selbe weiße Schild mit fetten Lettern PRIVATE PROPERTY: NO TRESPASSING. Also heißt es für mich wieder: Runter an die Küste, über den Pacific Coast Hellway weiter bis nach Malibu und von dort erneut mein Glück auf die Probe stellen.

Die Las Flores Canyon Road treibt mir erneut die Schweißperlen auf die Stirn; trotz Gravelübersetzung sind die knapp 11 Prozent Steigung eine Herausforderung, jedoch eine lohnende. Die Abfahrt nach Topanga fetzt und das letzte Stück offroad zum Temescal Peak wird sich für immer in mein Gedächtnis einbrennen. Dem Sonnenuntergang in den Bergen über Santa Monica beiwohnen zu dürfen ist ein wahrer Genuss, den ich nur empfehlen kann.

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Tag 10: Leaving Los Angeles

Nach neun langen Tagen steht mir heute endlich die Rückkehr nach San Clemente ins YT-Haus bevor. Euphorie macht sich breit beim Gedanken, endlich wieder diese Oase der Ruhe für mich zu haben, doch bevor es so weit ist, habe ich noch ein kleines Stück Arbeit vor mir.
Als David Lynch-Fan habe ich mir in den Kopf gesetzt, über den Mulholland Drive in die Stadt fahren zu wollen, und tatsächlich lohnt sich der Umweg, denn nirgendwo sonst hat man einen derart guten Blick auf die Villen von Bel Air, Beverly Crest und Hollywood Hills.

Wer sich Glanz und Glamour in Hollywood erwartet, dürfte wie ich beim Anblick des Boulevards enttäuscht sein, aber immerhin führt er direkt zum Griffith Park, einem weiteren Must-See auf meiner Liste. Spoileralarm - am Kahlenberg ist es tatsächlich leiwander zu fahren als dort.

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Bevor ich die Stadt schleunigst wieder verlasse, möchte ich noch einen Abstecher zu einem der bekanntesten Radshops der Gegend machen, dem Golden Saddle Cyclery - einer Institution, die weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist. Wie auch beim Boom Boom in Santa Barbara fungiert GSC mehr als Katalysator für die Bike Community, ein Treffpunkt für coole Typen, um sich auszutauschen - The place to be, wenn man dazugehören möchte.

Es gäbe so viel zu sehen in Los Angeles, aber die Stadt überfordert mich einfach. Der Lärm, der Verkehr - unvorstellbar, hier zu leben. Mein Fluchtplan führt mich entlang des Los Angeles River, einem zubetonierten Flussbett gigantischen Ausmaßes. Als die Gegend von Spaniern das erste Mal besiedelt wurde, stellte der Fluss die Lebensader dar; unzählige Regulierungsmaßnahmen später ist davon nicht viel übrig geblieben. Der Radweg entlang des Flusses bietet eine vermeintlich gute Alternative zum Horror der Innenstadt, allerdings sollte man seine Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Glasscherben und Müll entlang des Weges sind die kleinsten Probleme, mit denen man zu leben hat.

Vom Griffith Park bis nach Long Beach sind es über 50 Kilometer - der Weg durch die Stadt kostet mich über drei Stunden, es kommt mir deutlich länger vor. Eigentlich hätte ich mich in Santa Monica in den Zug nach San Clemente setzen sollen, aber diese Einsicht kommt deutlich zu spät. Auf dem Hammerhead sieht die Strecke unaufgeregt aus - die vermeintlich flachen 70 Kilometer sollten kein Problem darstellen. Zudem setzt erneut der Nordwind ein, der mir freundlicherweise ein paar extra km/h schenkt.
Die Küstengegend ist landschaftlich nicht sehr aufregend. Zudem sind die meisten Abschnitte verbaut. Von Long Beach über Huntington Beach bis nach Laguna Beach - alles ziemlich auswechselbar. Zu meinem Glück gibt es hier recht gut ausgebaute Radwege parallel zur Straße, offiziell darf man dort allerdings nur Schrittgeschwindigkeit fahren.

Ich habe meine Ankunft bei Jeff von YT bereits angekündigt, das Haus steht bereit und eingekauft haben sie auch für mich - ein klasses Team. Die nächsten drei Tage habe ich noch die Gelegenheit, mir die YT Mill genauer anzusehen und die Leute kennen zu lernen. So sehr ich die Zeit hier genossen habe, fällt mir der Abschied nicht schwer - ich kann ja jederzeit wieder kommen, wie mir Jordan bestätigt: "Any time, man! Aber das nächste mal fahren wir Mountainbike, das Beste hast du ja verpasst!”

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Mein Fazit zum Härtetest

Nach 1.379 Kilometern im Sattel wage ich zu behaupten, das Szepter ziemlich gut zu kennen. Ich sehe meine ursprüngliche Meinung bestätigt, nämlich, dass das Gravelbike von YT ein hervorragendes Exemplar ist, besonders wenn man vor hat, damit lange Touren zu fahren. Komfort, Zuverlässigkeit und Robustheit machen dieses Rad zu einem exzellenten Begleiter.
Darüber hinaus bin ich davon überzeugt, dass mich vermutlich jedes andere Gravelbike spätestens am vierten Tag in der Matilija-Wildnis verlassen hätte. Die ruppige Abfahrt wäre für so manches Hardtail zu viel des Guten gewesen, das Szepter hingegen hat mich nicht im Stich gelassen.

Die Produkte der Restrap Race Serie passen zudem auf das Szepter wie die Faust aufs Auge. Optisch ein Traum, technisch konkurrenzlos, begleiteten mich die Taschen ohne Probleme über Stock und Stein. Ein Traum-Setup für eine Traumreise.

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vor 24 Minuten schrieb NoDoc:

Es gibt Trinkflaschen mit hochaktiven Filtern, mit denen man es auch riskieren kann aus irgendwelchen Flüssen zu saufen. Ansonsten, danke für den Bericht.... 

Gibt auch einfache Tabletten für den Notfall. Günstig und leicht mitzunehmen. 

 

Sonst schöner Bericht. Immer gut, wenn einem der Beruf sowas ermöglicht. Tolle Runde, auch wenn ich merke, dass mich dieser Teil der USA wenig reizt. Was ich gut nachvollziehen kann ist, dass einen die Rückkehr in eine Großstadt nach mehreren Tagen am Rad in ruhiger Gegend ziemlich unangenehm einfährt. Finde das auch immer ziemlich unangenehm. Danke für den Bericht.

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Sehr inspirierender Bericht. Gabriwa hat nicht nur als Radfahrer Klasse (ich glaube ihm jedes Wort, womit er seine erlittenen Torturen und seine Freuden beschreibt), sondern versteht es auch bestens, Stimmung zu vermitteln. Mein Respekt, ich freue mich auf weitere Berichte von ihm (es muss ja nicht immer derart grenzartig zugehen wie im vorliegenden Fall).

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vor 8 Stunden schrieb NoDoc:

Es gibt Trinkflaschen mit hochaktiven Filtern, mit denen man es auch riskieren kann aus irgendwelchen Flüssen zu saufen. Ansonsten, danke für den Bericht.... 

Ich wollte eigentlich die neuen von Camelback testen, sind aber nicht rechtzeitig gekommen. Aber Hand aufs Herz, der Tümpel war wirklich keine (echte) Option. Ich glaube nicht Mal gefiltert mit Tabletten würde ich mir das reinstellen.

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