
Specialized Enduro 2020
13.08.19 16:04 23.4072019-08-13T16:04:00+00:00Text: Lukas Salzer, Luke BiketalkerFotos: Lukas Salzer, harookz, Dylan DunkertonMächtig bergab und bergauf so gar nicht unbeholfen - das neue Specialized Enduro 202013.08.19 16:04 23.4182019-08-13T16:04:00+00:00Specialized Enduro 2020
13.08.19 16:04 23.4182019-08-13T16:04:00+00:0048 Kommentare Lukas Salzer, Luke Biketalker Lukas Salzer, harookz, Dylan DunkertonMächtig bergab und bergauf so gar nicht unbeholfen - das neue Specialized Enduro 202013.08.19 16:04 23.4182019-08-13T16:04:00+00:00Ganze 3 Jahre investierten die Ingenieure bei Specialized in die Entwicklung, um nun endlich das neue Enduro aus der Taufe zu heben. Die Crew der Kalifornier bezeichnet ihre neueste Kreation wenig bescheiden als 170 mm Version des erst kürzlich präsentierten Downhillers Demo. Damit wurde das neue Enduro sozusagen zu einem „Mini-Downhiller“, den man auch gerne und ohne Bedenken aus eigener Muskelkraft bergauf bewegt. Außerdem möchte das neue 2020er Modell die Grenzen zwischen Stumpjumper Evo und Enduro klarer ziehen.
Wirft man einen Blick auf die aktuelle Enduro- und DH-Rennszene, wird es deutlich: 29 Zoll Laufräder sind schon lange keine Randerscheinung mehr. Das Überrollverhalten und die Stabilität der großen Räder kombinieren Entwickler mittlerweile mit dennoch agilen Geometrien. Mehr und mehr Racer setzen darum auf das große Laufradmaß. Sicherlich mit ein Grund für das Team in Morgan Hill, bei der neuen Generation jenes Bikes, das einst einer ganzen Kategorie den Namen gab, nun vollends auf 29“ zu setzen. Von der 27.5“ Variante des Vorgängers blieben einzig die 170 mm Federweg an Front und Heck; gemessen an der alten 29er Version stehen nun 10 mm mehr Federweg zur Verfügung. Und auch am übrigen Bike blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Neuer Rahmen und neue Geometrie sollen das Enduro vor allem schneller machen - sehr schnell bergab und auch flotter bergan. Natürlich wurde das Rad im MY2020 länger, tiefer und flacher. Doch das allein so stehenzulassen, wäre eine zu pauschale Aussage.
Ab sofort entfallen am Enduro die gewohnten Größenbezeichnungen von S bis XL. An deren Stelle treten nun die Größenbezeichnungen S2 bis S5. Das hat wenig bis nichts mit der Single Trail Skala zu tun; Specialized nennt die neue Ordnung Style-Specific Sizing. Der Kunde kann so je nach Vorlieben und Fahrstil zwischen mehreren Größen wählen und muss nicht länger in dem starren Modell Körpergröße/Rahmenhöhe seinen Kompromiss finden. Wer ein verspieltes Rad sucht, wählt eine Nummer kleiner, wer nach Laufruhe und Geschwindigkeit lechzt, wählt eine oder gar zwei Nummern größer. Allen Größen gemein sind 442 mm lange Kettenstreben und ein um 25 mm kürzeres Sattelrohr, um eben trotz Up- und Downsizing noch Platz für Dropper-Posts zu lassen. Zusätzlich kommen alle Räder mit ganzen sechs Vorbauspacern aus dem Karton, um bei der Anpassung mehr Spielraum zu lassen. Die Händler werden in der kommenden Saison wohl das eine oder andere Sägeblatt mehr auf ihre Werkstätten buchen. Der Reach am neuen Enduro liegt zwischen 437 und 511 mm, der Stack zwischen 616 und 638 mm. Gleichzeitig wurde der Sitzwinkel mit 76° steiler, die Sitzrohrlängen selbst variieren zwischen 400 und 465 mm. Via Flip-Chip kann der Lenkwinkel zusätzlich adaptiert werden. Die 63,9° des Low Settings sprechen dabei eher aggressive Fahrer an, generell empfehlen die Kalifornier das High Setting mit 64,3° Lenkwinkel.
Apropos aggressivere Fahrer - das Entwicklerteam hat auch die Kinematik drastisch hin zu noch mehr Speed in der Abfahrt getrimmt. Der neue Hinterbau bietet dem Hinterrad - laienhaft gesprochen - beim Einfedern nun mehr Möglichkeit, nach hinten auszuweichen. Dadurch verringert sich das Gefühl des „Hängenbleibens“ durch Wurzelpassagen oder über Bremswellen spürbar, die Kräfte werden deutlich mehr ins Fahrwerk und weniger in die Sprunggelenke und in den Fahrer geleitet. In Abfahrstposition, sprich mit waagrechter Fußstellung, soll man so merklich ermüdungsfreier gen Tal steuern. Eine Eigenschaft, die entweder unterm Strich ein Stückchen schneller macht und Sicherheit gibt oder schlicht dazu führt, dass genügend Kraft bleibt, um eine weitere Runde drehen zu können.
Für jene Piloten, die mit ihrem Bike auch gerne mal in die Lüfte gehen und keinen noch so großen Drop auslassen, hat Specialized die Federkennlinie angepasst. Sie ist nun zum Ende hin deutlich progressiver, um bei großen Schlägen nicht mehr so schnell durch den Federweg zu rauschen. Und für die Uphills? Dafür designten die Entwickler 40% mehr Anti-Squat in die Kinematik ein, um mehr Pedaleffizienz aus dem Konzept zu kitzeln. Außerdem war man darum bemüht, konstante Anti-Squat Werte über das gesamte Übersetzungsspektrum des 1 x 12 Antriebs zu generieren. Die Abstimmung des Dämpfers selbst übernahm einmal mehr das hauseigene Suspension Lab in Morgan Hill. Deren sogenannter Rx Tune sorgt für ein ausgewogenes, ausbalanciertes Fahrwerk.
Unterm Strich verspricht man also mehr Kontrolle und weniger Ermüdung durch den neuen Hinterbau - wenn dies den Sprung zu mehr Speed nicht beschleunigt, dann hilft vielleicht der neue Rahmen auf die Sprünge. Steifigkeit ist im Radsport traditionell ein großes Thema und obliegt in jüngerer Zeit ebenfalls einem Gesinnungswandel. Denn tatsächlich ist Steifigkeit nicht alles - vielmehr gilt es, den Spagat zu schaffen und Steifigkeit nur dort in den Rahmen zu designen, wo es auch wirklich nötig ist, respektive wo das Fahrverhalten nicht vielleicht sogar negativ beeinflusst wird. Ziel ist es also, in Tretlagerbereich, Hinterbau und Steuerrohr die Balance aus präzisem Steuerverhalten und genügend Nachgiebigkeit für Traktion in Querfahrten und durch Kurven zu finden.
Zusätzlich bekommt jede Rahmengröße ihren ganz speziellen Aufbau der Carbonmatten, genannt Rider-First Engineering. Damit sollen die Fahreigenschaften über alle Größen hinweg homogen gehalten werden. Und wenn wir schon beim Carbon sind: der Unterschied zwischen den S-Works und den „gewöhnlichen“ Rahmen liegt diesmal nicht in der Güte der Carbonfasern, sondern einzig im Umlenkhebel - einmal aus leichtem Carbon, einmal aus 260 Gramm schwererem Aluminium. Wer möchte, kann den Umlenkhebel aus Carbon sogar über den Händlerservice an sein Non-S-Works nachrüsten und hat dann sozusagen den S-Works Rahmen als Wolf im Schafspelz in der Garage. Ebenfalls wieder mit an Bord: die praktische SWAT-Box im Unterrohr. So können Schlauch, Werkzeug und mindestens 8 Oreos im Unterrohr verstaut werden.
Erste Fahreindrücke rund um den Lake Tahoe
All das Fachsimpeln und Wälzen von Datenblättern und Tabellen könnte noch seitenweise weitergehen. Doch was wirklich zählt, das ist, wie sich das neue Specialized Enduro fährt. Einen ersten guten Vorgeschmack darauf konnten wir auf den Trails des Northstar Bikepark nahe dem zauberhaften Lake Tahoe bekommen.
Ob des massigen Federwegs, der robusten Ausstattung und der 29 Zoll Laufräder bestehen an den Abfahrtsqualitäten des neuen Enduro schon rein äußerlich keinerlei Zweifel. Dass man damit aber auch gut klettern kann, würde man dem Rad auf den ersten Blick nicht an den Palmares schreiben. Umso überraschender war dann das, was auf den knapp 400 Höhenmetern Aufstieg zur Bergstation zu spüren war. Sämtliche Skepsis war binnen Minuten verflogen, der Vortrieb ist für ein Rad dieser Klasse tatsächlich beeindruckend. Tags zuvor durften wir noch mit dem neuen Epic HT über die gleichen grobschottrigen Forststraßen heizen. Subjektiv hatte man am Enduro den Eindruck, wenig in der Effizienz bergan einzubüßen. Der angenehm steile Sitzwinkel von 76° sorgt für gute Kraftübertragung aufs Pedal, das Fahrwerk zeigt sich auffällig unauffällig und generiert ohne lästiges Wippen ausgezeichneten Vortrieb und gute Traktion. Mit der zentralen und tiefen Sitzposition würden wohl selbst 1.000 Höhenmeter und mehr bergauf keine große Plackerei werden. Bergauf macht Specialized mit dem Enduro also schon mal alles richtig.
Zum Glück geht es dann aber doch irgendwann auch wieder bergab - und die Lifte sind auch noch in Betrieb…yes! Die ersten Meter durch durchaus verblocktes Gelände zeigen bereits die Tendenz - langsam und zurückhaltend zu fahren, steht nicht im Interesse des Enduro. Das Rad verlangt selbstbewusst nach etwas Geschwindigkeit, um lebendig zu werden. Auch staubige Anlieger mit viel losem Sand fordern anfangs eine konzentrierte Fahrweise. Der flache Lenkwinkel gepaart mit der - für mich - ungewohnten Länge verlangen nach viel Druck am Vorderrad. Mit etwas Eingewöhnungszeit, was den Körperschwerpunkt betrifft, kommt Sicherheit, und mit ihr auch der Schlüssel zum Erfolg am Enduro: Bremsen auf und das Bike einfach mal machen lassen. Mit jedem zusätzlichen km/h fühlt man sich sicherer; das Fahrwerk schluckt ohnehin weg, was auch immer man ihm in den Weg stellt. Das Heck ist nicht zu steif und geht in den Kurven gut mit, die Front setzt - wie versprochen - jedes Lenk- und Steuermanöver präzise um. Nach ein paar Fahrten nimmt man plötzlich reichlich Geschwindigkeit aus den Kurven mit, die Traktion am Vorderrad kommt so und durch die angepasste aggressive Fahrposition dann fast von alleine.
Sogar für ausgewiesene Bodenliebhaber wie mich macht es wirklich Laune, mit den Bike über den einen oder anderen Table zu fliegen - auch hier spielt die vermittelte Sicherheit zwischen Lenker und Sattel eine große Rolle. Mangels Wurzelwerk mussten die durch die trockenen Verhältnisse entstandenen zahlreichen Bremswellen für einen Test der Hinterbaukinematik herhalten. Und tatsächlich arbeitet sich das Hinterrad mühelos durch die Wellen, Beine und Oberschenkel bekommen davon wenig bis gar nichts mit. Wenn eine Horde verwöhnter Bike-Journalisten nach einem ganzen Tag im Park verzweifelt um die letzte Liftauffahrt kämpft, muss Specialized mit dem neuen Rad einiges richtig gemacht haben, oder nicht? Ein echtes Vollgas-Spaßgerät, dieses Touren-Demo alias Enduro.
Modelle
Specialized bietet das neue Enduro in vier Modellen sowie als Rahmenset an. Für das Topmodell Specialized S-Works Enduro mit kompletter Shimano XTR-Gruppe, Fox Factory Fahrwerk und AXS-Dropper sind 10.999 Euro fällig. Deutlich günstiger fährt es sich mit dem Einstiegsmodell Enduro Comp. Dort gibt es Carbonrahmen, Sram NX Eagle, Code R-Bremse und RockShox Fahwerk gegen 4.999 Euro.